Bereits
im Februar 2016 erntete Sebastian Kurz in seiner Position als
österreichischer Außenminister Beifall, als es ihm gelang, innerhalb
weniger Tage den Zustrom von täglich 15 000 Menschen über die
Balkanroute auf wenige Hundert zu reduzieren. Gelingt ihm jetzt während
des ab 1.7. beginnenden EU-Ratsvorsitzes Österreichs der nächste Coup?
Auch
wenn die Flüchtlingsströme laut den europäischen Main-Stream Medien
in diesem Jahr ein weiteres Mal nachgelassen haben, ist das Problem
weiterhin omnipräsent. Zahlreiche EU-Staaten haben mit steigenden
Sozialausgaben und integrationsunwilligen Migranten zu kämpfen.
Ganz Europa erinnert sich noch an die verwerflichen drei Worte der
deutschen Bundeskanzlerin, als die Flüchtlingskrise in Europa ihren
Höhepunkt erreichte: „Wir schaffen das…“ Wenn man die Situation drei
Jahre später betrachtet, wird schnell klar, dass absolut nichts erreicht
wurde. Bis jetzt gibt es keine einheitliche EU-Linie, und es wird um
Verteilungsquoten gestritten.
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AFP 2018 / Jens Büttner / dpa
Auch der bevorstehende EU-Sondergipfel zur Migration wird keine Lösungen bringen, denn die Absage der vier
Visegrad-Staaten (Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen)
bedeutet, dass die schärfsten Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik
nicht teilnehmen werden. Die Politik von Angela Merkel ist gescheitert,
der Unmut innerhalb der Bevölkerung wächst, in der CDU-CSU kriselt es
und mit dem jungen Sebastian Kurz gibt es ernstzunehmende Konkurrenz für
die oft verbraucht wirkende deutsche Bundeskanzlerin.
Es war schon bemerkenswert, dass der bayrische
Ministerpräsident Horst Seehofer
nicht am bundesweiten Integrationsgipfel Deutschlands teilnahm, sondern
es bevorzugte, sich mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian
Kurz zu treffen. Seehofer erwartete sich vom Treffen mit Kurz eher
Lösungen, als bei einem weiteren Gipfel mit Merkel. „Ich kann mit der
Frau nicht mehr zusammenarbeiten“ soll er im Kreise einiger
CSU-Politiker gesagt haben.
Mit
der neuen österreichischen Regierung ist Seehofer allerdings in der
Migrationsfrage vollkommen auf einer Linie: Jedes Land soll das Recht
haben, seine Grenzen dicht zu machen und Flüchtlinge zurückzuweisen,
wenn sie bereits in anderen EU-Staaten registriert wurden. Doch Bayern
und Österreich eint nicht nur ihre gemeinsame Haltung in der
Asylpolitik. Die Parallelen in Sprache, Kunst und Mentalität sind
präsent, und auch emotional ist Österreich den Bayern oft näher als
Berlin. Heutzutage wissen viele nicht mehr, dass Bayern und Österreich
bis ins zwölfte Jahrhundert in einem Herzogtum vereinigt waren.
Es folgten die Wirren des Mittelalters, und erst 1871 wurde Bayern
von Otto von Bismarck endgültig ins Deutsche Reich gezwungen. Ein
niederbayrischer Bürgermeister fragte sich damals, „ob es vielleicht
nicht für Bayern schöner, lustiger wäre, wenn man zu Österreich gekommen
wäre“. Danach mussten sich die katholischen Bayern oft gegen die
protestantischen Preußen behaupten, und auch in Österreich gab es lange
die Sehnsucht nach einem gemeinsamen Alpenstaat.
Diese Idee kam auch bei den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg
rund um Winston Churchill auf, und der langjährige österreichische
Bundeskanzler Bruno Kreisky sagte einst „Wenn ich Urlaub mache, fahre
ich am liebsten nach Bayern. Da bin ich nicht mehr in Österreich und
noch nicht in Deutschland.“ Selbst heute führen die ersten
Antrittsbesuche österreichischer und bayerischer Regierungschefs und
Minister zuerst nach München oder Wien und danach erst nach Berlin oder
Brüssel.
Auch den jungen Sebastian Kurz lobte Orban
in höchsten Tönen: „ Mit Österreich als EU-Vorsitzland wird die EU
stärker, fairer und sicherer, als sie es bisher ist. Die Erwartungen an
Österreich sind sehr hoch.“ Demonstrativ sagten die Vertreter der
Visegrad-Staaten ihre Teilnahme am EU-Sondergipfel zur Migration ab.
Nicht nur mit Bayern, sondern auch mit den Visegrad-Staaten verbindet
Österreich eine jahrhundertelange gemeinsame Geschichte durch das
Habsburger-Reich. Wien, Prag, Bratislava und Budapest waren im 18. und
19. Jahrhundert die Zentren der Habsburger Monarchie, was noch heute
anhand der einheitlichen Architektur deutlich erkennbar ist. So wurde
die Prager Burg unter dem Habsburger Kaiser Rudolf vollkommen neu
errichtet, und auch Budapest entstand erst durch den Zusammenschluss der
drei Städte Buda, Pest und Altofen unter den Habsburgern. Noch heute
zieren die Donaupromenade Budapests zahlreiche Habsburger Bauten wie das
Parlamentsgebäude und die Fischerbastei.
Viele vergessen, dass mit Galizien auch ein großer Teil Polens in die
Donaumonarchie eingegliedert war. Ganze 10 Prozent der Bevölkerung im
Habsburger Reich machten die Ethnien der Polen und Ruthenen aus, die zur
polnischen bzw. westukrainischen Volksgruppe gezählt werden. Auch wenn
es am Ende der Habsburger Monarchie zu zahlreichen Konflikten zwischen
den einzelnen Nationalitäten kam, erinnern sich nicht nur viele
Österreicher, sondern auch andere Volksgruppen positiv an die Zeiten des
Vielvölkerstaates zurück.
Neben Vertretern von Bayern und den Visegrad-Staaten hat sich
Sebastian Kurz auch mit dem italienischen Innenminister Matteo Salvini
getroffen der offen erklärte „Wir können keinen einzigen mehr
aufnehmen.“ Die neue Regierung Italiens steht der Flüchtlingspolitik von
Merkel sehr kritisch gegenüber, und Premier Giuseppe Conte knüpfte
seine Teilnahme am
EU-Sondergipfel an zahlreiche Bedingungen.
Viele
EU-Länder distanzieren sich von Merkels Politik, und auch innerhalb
Deutschlands steht Bayern mit seiner Kritik nicht alleine da. Die
Koalition, die Sebastian Kurz dabei ist zu schmieden, wächst stetig, und
gemeinsam haben die Länder Österreich, Bayern, Ungarn, Polen,
Tschechien, Slowakei und Italien fast 135 Millionen Einwohner. Nicht nur
in der Flüchtlingsfrage sind diese Länder auf einer Linie, sie stehen
auch den Russland-Sanktionen sehr kritisch gegenüber. Kurz: Seehofer,
Conte und Orban wollen gute Beziehungen zu Russland und fordern, die
Sanktionen schrittweise aufzuheben, da sie kontraproduktiv sind und der
eigenen Bevölkerung schaden.
Während des Besuchs des russischen
Präsidenten Wladimir Putin in Wien hat Kurz einmal mehr bekräftigt, dass
Österreich eine Vermittlerrolle zwischen Russland und der EU einnehmen
wird. Die Freundschaft zwischen Österreich und Russland ist traditionell
gut, und Österreich ist als neutrales Land für die Rolle des
Brückenbauers prädestiniert.
Man darf sich also viel vom österreichischen EU-Ratsvorsatz erwarten.
Nach der Schließung der Balkanroute wäre eine einheitliche, strengere
Politik in der Flüchtlingsfrage der nächste Coup für Sebastian Kurz,
aber die Aufhebung der Russland-Sanktionen wäre definitiv sein
Meisterstück.
* Die Meinung des Autors muss nicht mit der der
Redaktion übereinstimmen.
