Innerhalb einer Woche wurden fast einhundert afghanische Zivilisten
durch US-amerikanische Luftangriffe, hauptsächlich ausgeführt von
Drohnen, getötet.
Doch während die Afghanen nacheinander ihre Toten
begraben, bleibt der große Aufschrei aus – wie gewohnt. Auch große
deutsche Medien, wie die Tagesschau, schauen lieber weg.
Von
Emran Feroz.
Am Mittwoch der vergangenen Woche wurden bei einem Taliban-Anschlag
in der afghanischen Provinz Zabul mindestens 39 Menschen getötet und 90
weitere verletzt. Laut dem Kabuler Verteidigungsministerium wollten
die Aufständischen eine Basis des NDS, des afghanischen Geheimdienstes,
angreifen.
Doch wie so oft waren die meisten Opfer Zivilisten, was vor
allem mit der Tatsache zu tun hatte, dass der Wagen mit der Bombenladung
nahe eines Krankenhauses platziert wurde. Während einige Beobachter die
Frage stellten, warum Geheimdienst und Militär weiterhin unter ziviler
Infrastruktur zu finden sind, ist jegliche Verharmlosung des Anschlages
fehl am Platz.
Der Angriff auf ein Krankenhaus ist stets als
Kriegsverbrechen zu betrachten, was auch in der damit verbundenen
Berichterstattung deutlich wurde. „Tote durch Autobombe vor Klinik“, titelte etwa die Tagesschau. „Viele Tote nach Anschlag vor Krankenhaus“, hieß es im Stern.
In beiden Fällen war allerdings nur von Taliban-Anschlägen die Rede.
Das Echo in der internationalen Berichterstattung war ähnlich. Der Täter
war eindeutig und bekannt, und die Verurteilung aus bestimmten Ecken
war laut und deutlich zu hören.
Doch an jenem Mittwoch fand auch anderswo in Afghanistan ein Massaker
statt. Im Distrikt Khogyani in der östlichen Provinz Nangarhar wurden
mindestens dreißig Zivilisten, hauptsächlich Bauern, von
US-amerikanischen Drohnen gejagt und getötet. Dutzende von Menschen
wurden von den mittlerweile berühmt-berüchtigten Hellfire-Raketen
verletzt. Sowohl die Kabuler Regierung als auch das US-Militär
bezeichneten die Opfer anfangs als „mutmaßliche IS-Extremisten“. Unter
anderem konnte man auch lesen, dass die Zivilisten „versehentlich“ getötet wurden.
Doch was ist genau passiert?
Bereits zwölf Tage vor den
Drohnenangriffen wendeten sich die Ältesten aus der betroffenen Region
an den Gouverneur der Provinz, der der Kabuler Regierung direkt
untersteht.
Aufgrund der anstehenden Pinienkernsaison wiesen die
Dorfbewohner den Gouverneur darauf hin, dass man rund 200 Arbeiter
rekrutiert habe, darunter auch Kinder, um für die Ernte gerüstet zu
sein. Wie in vielen anderen Teilen des ländlichen Afghanistans sind auch
die Menschen in Khogyani auf Anbau und Verkauf von Trockenobst
angewiesen. Der Versand des Briefes hatte vor allem den Zweck, nicht zum
Ziel von Kampfhandlungen zu werden, wie Reuters detailliert berichtete.
Die Region gilt seit Jahren als umkämpft. Viele Teile von Nangarhar
werden von den Taliban kontrolliert, während die USA und ihre
afghanischen Verbündeten es vorziehen, sämtliche Landstriche blind zu
bombardieren.
Das präventive Handeln der Menschen aus Khogyani war nachvollziehbar.
In der Region werden Zivilisten, darunter etwa arbeitende Männer und
Frauen oder spielende Kinder, seit Jahren zum Ziel von
Drohnen-Angriffen.
2017 war ich aufgrund der Recherchen für mein Buch
„Tod per Knopfdruck“ selbst in Khogyani unterwegs. Die meisten Menschen
vor Ort, sowohl Zivilisten als auch Taliban-Kämpfer, beschrieben einen
Alltag, der von Drohnen-Angriffen und anderweitigen brutalen Operationen
des US-Militärs geprägt war.
Der Umstand, dass durch diese Angriffe in
erster Linie Zivilisten getötet werden, war für die Afghanen aus der
Region nichts Neues. Immerhin wussten sie, was um sie herum passiert.
Sie erzählten von zerstörten Dörfern, getöteten Bauern und
traumatisierten Kindern.
Umso weniger überraschend ist die Tatsache, dass auch beim jüngsten
Drohnen-Massaker in der Region keinerlei Prävention Wirkung zeigte. Die
Erntesaison in Nangarhar begann mit einem Blutbad und am darauffolgenden
Tag mussten die Menschen ihre Liebsten beerdigen.
Die Drohnen-Piloten
des US-Militärs, die meistens irgendwo in der Wüste Nevadas sitzen,
hatten – wieder einmal – vermeintliche Terroristen getötet.
Man muss in diesem Kontext immer wieder betonen, dass das, was in
Khogyani geschah, nicht die Ausnahme ist, sondern die Regel. Das
US-Militär ließ sich wahrlich nicht viel Zeit, um dies selbst unter
Beweis zu stellen.
Denn nur fünf Tage später wurden in der
südafghanischen Provinz Helmand zwischen 40 und 70 Menschen durch einen
„Präzisionsschlag“, wie es die US-Kräfte beschrieben, getötet. Bei den
Opfern handelte es sich um eine Hochzeitsgesellschaft.
Nun stellen sich womöglich weiterhin einige Menschen, insofern sie
überhaupt Interesse zeigen, die Frage, wie so etwas überhaupt passieren
kann. Fakt ist, dass Afghanistan seit Beginn des NATO-Krieges im Jahr
2001 als Waffentestgelände regelrecht missbraucht wird. Der
Drohnen-Krieg ist hierfür das beste Beispiel, immerhin fand der
allererste Angriff einer bewaffneten Drohne in der Menschheitsgeschichte
am Hindukusch statt.
Das Fluggerät vom Typ Predator („Raubtier“) sollte
im Oktober 2001 Taliban-Gründer Mullah Mohammad Omar in der Provinz
Kandahar „ausschalten“. Heute wissen wir, dass Omar viele Jahre später,
nämlich 2013, eines natürlichen Todes starb.
Die Frage, wer an seiner
Stelle von der Drohne getötet wurde, wurde niemals wirklich gestellt.
Nach 2001 wurde Omar übrigens nach diversen Drohnen-Angriffen immer
wieder für „tot“ erklärt. Ähnlich verhielt es sich mit anderen
Extremistenführern, darunter etwa auch Al-Qaida-Chef Ayman Al-Zawahiri,
der weiterhin am Leben ist, während andere, namenlose Menschen an dessen
Stelle getötet wurden.
Der „Krieg gegen den Terror“ ist geprägt von derartigen Szenarien,
und sie kommen nicht nur aufgrund fehlerhafter Informationen zustande,
sondern auch und vor allem aufgrund einer problematischen Technologie.
Egal, was Militär, Rüstungsindustrie und viele Politiker behaupten:
Drohnen sind keine präzisen Waffen. Andernfalls hätten sie in
Afghanistan nicht innerhalb einer Woche fast einhundert Menschen –
Bauern und Hochzeitsgäste! – getötet.
In diesem Kontext bleibt es einem nicht erspart, auf das geringe
Interesse der Öffentlichkeit nach derartigen Massakern aufmerksam zu
machen. All diese Afghanen wurden nicht von bärtigen Taliban-Kämpfern
oder IS-Extremisten getötet, sondern von „uns“. Einem westlichen
Tötungskomplex, für den viele Menschen mitverantwortlich sind.
Dies
betrifft sowohl den Drohnen-Piloten, der nach seiner Schicht seinen
Feierabend genießt, als auch den Techniker, der die Fluggeräte vor dem
nächsten „Raubzug“ wartet. Die Opfer unterscheiden nicht zwischen
Bombenangriffen, Selbstmordattentaten und Drohnen-Operationen.
Für sie
ist alles dieselbe Gewalt, derselbe Terror. Und in diesem Fall ist es
eben der westliche Terror, durch den so mancher US-Präsident sogar einen
Friedensnobelpreis eingeheimst hat.
Man stelle sich nur vor, was in unseren Breiten los wäre, wenn ein
Land wie der Iran plötzlich mit bewaffneten Drohnen Jagd auf europäische
Bauern machen oder amerikanische Hochzeitsgesellschaften bombardieren
würde. Ja, das ist ein Vergleich, der womöglich vielen nicht in den Kram
passt, der zynisch und plakativ klingt. Dennoch:
Was wäre dann los?