Berlin hat jahrzehntelang Kinder und Jugendliche an Pädophile in 
Pflege gegeben. Die Pflegeväter waren einem Bericht von Forschern 
zufolge mitunter mächtige Männer aus Wissenschaft und 
Forschungseinrichtungen.
Berlin startete Ende der 1960er Jahre das
 „Kentler-Experiment“. Dabei wurden Kinder und Jugendliche gezielt in 
die Obhut teils vorbestrafter Pädophiler gegeben. Das Projekt wurde in 
der Zeit der „sexuellen Befreiung“ ins Leben gerufen und lief drei 
Jahrzehnte lang.
Der Berliner Sozialpädagoge Helmut Kentler war 
Leiter dieses, wie er sagte, „wissenschaftlichen Experiments“. Kentler 
war eine hoch angesehene Persönlichkeit und bis Mitte der 1970er Jahre 
in Berlin am Pädagogischen Zentrum als Abteilungsleiter tätig, einer 
nachgeordneten Behörde des Senats.
Er vertrat die Ansicht, dass 
sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen nicht schädlich 
seien. Kentler der nie für seine Taten belangt wurde und 2008 verstorben
 ist, meinte sogar: 
Pädophile
 seien in besonderer Weise als Pflegeväter geeignet. Kentler und die 
Pflegeväter haben nicht allein gehandelt. Das zeigt ein Abschlussbericht
 von Forschern der Universität Hildesheim, der Anfang der Woche in 
Berlin vorgestellt wurde.
Vielmehr handele es sich um ein ganzes 
Netzwerk an Verantwortlichen: „Ein Netzwerk quer durch die 
wissenschaftlichen pädagogischen Einrichtungen insbesondere der 1960er 
und 1970er Jahre und die Senatsverwaltung (dem Landesjugendamt) bis 
hinein in einzelne Berliner Bezirksjugendämter, in dem pädophile 
Positionen akzeptiert, gestützt und verteidigt wurden“, zitiert RTL aus 
dem Bericht. Wie viele Kinder zu Opfern wurden, ist nicht bekannt.
Pädophile Pflegeväter aus hohen Kreisen
Neben
 zwei schon länger bekannten Fällen in Berlin habe sich auch ein 
Betroffener gemeldet, der in einer von Berlin geführten Pflegestelle in 
Westdeutschland untergebracht war, berichteten die Wissenschaftler. Es 
gebe die begründete Annahme für weitere solche Pflegestellen oder 
Wohngemeinschaften in Westdeutschland, damals initiiert durch Berliner 
Behörden. Betroffene berichteten laut den Forschern etwa von 
Grenzüberschreitungen, Gewalt und Missbrauchserfahrungen.
Ein Opfer sagte dem 
„Deutschlandfunk“
 unter Voraussetzung der Anonymität:
Es habe „körperliche Züchtigung“ 
gegeben.
„Devise war gewesen:
Er schlägt den Teufel in uns, nicht uns.
Und der sexuelle Missbrauch, der mit sechs Jahren angefangen hat.“
Aus
 Sicht der Aufarbeitung handle es sich um „Kindeswohlgefährdung in 
öffentlicher Verantwortung“, sagte Mitautorin des Abschlussberichts 
Julia Schröder. Kentler wird als einer der Hauptakteure eines Netzwerks 
beschrieben, das laut Bericht quer durch die wissenschaftlichen 
pädagogischen Einrichtungen insbesondere der 1960er und 1970er und die 
Senatsverwaltung bis hinein in Bezirksjugendämter ging.
So seien 
pädophile Positionen
 „akzeptiert, gestützt und verteidigt“ worden, Übergriffe nicht nur 
geduldet, sondern gerechtfertigt.
Dabei habe es durchaus auch 
gegenteilige Positionen gegeben. Kentler habe maßgeblich Einfluss auf 
Entscheidungen Verantwortlicher ausgeübt. Die Verantwortung für Kentlers
 Aktivitäten liegen laut Schröder beim Berliner Senat als dessen 
Dienstherr.
Die bisherigen Hinweise würden darauf hindeuten, dass es sich bei den Pflegestellen
Scheeres spricht von „Behördenversagen“
Berlins Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, Sandra Scheeres, sprach von „Behördenversagen“. Die 
SPD-Politikerin
 sagte den Opfern eine Entschädigungszahlung zu. „Wir haben ein Netzwerk
 aufgedeckt“, betonte sie. Es sei deutlich geworden, dass Kentler 
Kindesmissbrauch angestrebt habe. Sie nannte das Vorgehen 
„menschenverachtend“. Berlin übernehme die Verantwortung. Die 
Betroffenen bat Scheeres um Verzeihung.
Die Aufarbeitung des institutionellen Missbrauchs soll auch über 
Berlin
 hinausgehen. Zudem sollen die Berliner Strukturen noch einmal genauer 
unter die Lupe genommen werden, sagte Scheeres. Eine Studie soll mehr 
Klarheit bringen.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung 
sexuellen Kindesmissbrauchs erklärte, sie unterstütze „nachdrücklich den
 Vorschlag, dass die Jugendministerkonferenz eine bundesweite 
Aufarbeitung zu Gewaltverhältnissen im Pflegekinderwesen und der 
Heimerziehung auf den Weg bringen muss, um die vorliegenden Hinweise auf
 ein weit verzweigtes Netzwerk weiter aufarbeiten zu können“.
Helmut Kentler, der später als Professor für Sozialpädagogik an der TU 
Hannover lehrte, wurde für sein „Experiment“ nie strafrechtlich verfolgt. Die Taten galten als verjährt.
  
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