https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2016/der-russe-wars/
Neueste Enthüllungen zur russischen Politik: Steckte der Kreml hinter
dem Kölner Sex-Mob zu Jahresbeginn? Stiftet Putin syrische Agenten zu
sexuellen Übergriffen auf deutsche Frauen an, um Stimmung gegen Merkel
zu machen? Gustav Gressel vom pro-Brüsseler European Council on Foreign
Relations legt in der Bild-Zeitung einen derartigen Schluß
nahe: „Ein Teil der Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, wenn auch nur
ein sehr kleiner Teil, hatte Verbindungen zu Assads oder Saddam Husseins
Geheimdiensten.“
Die wiederum arbeiteten eng mit russischen Diensten und der russischen Mafia zusammen. Besorgt fragt der Rußland-Experte:
„Was würde passieren, wenn sich auf einem Sommerfestival vor der Wahl
etwas Ähnliches wiederholt wie in Köln zur Silvesternacht? Wie würde
Merkel dann dastehen?“ Das Beispiel bewege sich „im Bereich des
Möglichen“.
Die Kommentatoren sind sich so einig wie selten zuvor. Nicht die
amerikanischen Wähler haben den falschen Kandidaten auf den
Präsidententhron gehievt, nein, es war der Kreml. Dessen Schnüffler
haben die E-Mail-Korrespondenz der US-Parteien gehackt und abgehört. Und
dann anonym auf Wikileaks gezielt solche Mails veröffentlicht, die das
Bild bestätigten, welches Hillary Clintons Kritiker schon lange von der
Kandidatin hatten: die „größte Scheinheilige der letzten 30 Jahre
US-Geschichte“ (Washington Times).
Ideales Feindbild
Ob eine solche Aktion möglich ist? Für Rußland hat Außenminister
Sergej Lawrow die Frage beantwortet, sybillinisch und dennoch
hinreichend klar: „Wir haben nichts dementiert. Und uns wurde nichts
bewiesen.“
Wenn sich jetzt also herausstellt, daß nicht die Flüchtlinge, sondern
der Kreml für die Kölner Übergriffe verantwortlich war? Was ist dann mit
dem Amoklauf in München, dem Messerangriff im Zug bei Würzburg, dem
Mord an Maria L. in Freiburg?
Der Bild-Leser darf mutmaßen. Dem Blatt käme der Beweis russischer Subversion höchst gelegen. 2015 hatte Bild
monatelang mit dem Logo der „Refugees welcome“-Bewegung geworben und
die Politik der unkontrollierten Zuwanderung gefeiert. Nach der Kölner
Silvesternacht hagelte es dann Kritik, als Bild die Ängste deutscher Frauen thematisierte. Heuchler ihr!
Daß die Leitmedien, längst schon wie in einer Wagenburg verschanzt
und zusammengedrängt, in Rußland den idealen Feind gefunden haben, ist
nachvollziehbar. Man kann den Russen in der Tat viel vorwerfen, Krim und
Ostukraine allemal. Der Kreml macht auch gar kein Hehl daraus: Nach der
westlichen Pfeife wird der russische Bär niemals tanzen. Es knarrt im
Gebälk. In Moskau hört man jetzt oft ein altes Sprichwort: Wer zu uns
mit dem Schwert kommt, wird vom Schwerte sterben. Das gilt im 21.
Jahrhundert ebenso wie davor und danach.
Sie raffen es nicht
Ein sträflicher Fehler wäre jedoch, alle Mißstände westlich des Bug
pauschal den Moskowitern anzulasten. Entartender Kapitalismus,
Entfremdung, Identitäts- und Heimatverlust, vor allem aber das Gefühl,
von einer immer ferneren, immer multinationaleren Elite im Stich
gelassen zu werden – das haben nicht erst die russischen Propagandisten
den Leuten eingeredet. Marine Le Pen und Frauke Petry, Donald Trump und
Geert Wilders sind keine Kreml-Marionetten und ihre Wähler auch keine RT-Junkies.
Doch die Wahrheit scheitert an der gläsernen Decke zwischen Redaktionen und Parlamenten und dem Rest der Welt. Ob Bild oder FAZ,
ob ZDF oder ARD, es ist wie die Schallplattennadel, die immer in die
gleiche Rille springt: Wer nicht so denkt wie wir, dem hat Putin das
Hirn gewaschen. Sie raffen es nicht.
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