Seit Freitag steht es fest: Deutschland darf sich auf vier weitere Jahre GroKo gefasst machen. Trotz einiger Holprigkeiten im Nachhinein wurden die Sondierungen „erfolgreich“ zu Ende gebracht, und dass die eigentlichen Koalitionsverhandlungen noch scheitern sollten, glaubt wohl auch niemand mehr ernsthaft. Das Problem ist nur: niemand will den erneuten Aufguss dieser von oben diktierten Konstellation des Stillstands wirklich.
Eine Mehrheit von 34 Prozent der Deutschen sprach sich vor den Sondierungsverhandlungen für Neuwahlen aus, wie eine INSA-Umfrage ergab. 15 Prozent wollten eine Minderheitsregierung – die ich persönlich als Experiment der deutschen Demokratie begrüßt hätte. Nur 30 Prozent waren pro GroKo. Dass sie nun doch durchgedrückt wird, ist ein Armutszeugnis für den demokratischen Prozess.
Interessant: Auch in der SPD will sie eigentlich niemand wirklich –
bis auf die Parteiführung, den abgehobenen Filz um die Schulz‘, Gabriels und Nahles‘ der Partei. Die SPD-Jugend hasst sie wie die Pest, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert wirbt auf seiner „No-GroKo-Tour“ bei den SPD-Landeschefs für das Ziehen der Reißleine. Die Parteibasis meutert massiv gegen die Bevormundung der machthungrigen Parteiführung (von der CSU verächtlich als „Zwergenaufstand“ diffamiert), die Arbeitsgemeinschaft 60 Plus der SPD und die Parteilinke wollen sie nicht, die Vereinigung der SPDler mit Behinderung auch nicht, die Homosexuellenvereinigung SPDqueer lehnt sie ab, genau wie die SPD in Hessen, Berlin und Sachsen-Anhalt, die per Votum gegen die GroKo-Neuauflage stimmte: „Große Koalition: Nein, Danke!“ hieß der unmissverständliche Leitantrag des SPD-Landesverbands.
Arroganz der Macht
Kanzlerin Merkel
fand für den „Zwergenaufstand“ ihres neuen alten Juniorpartners mahnende Worte: „Die Sehnsucht nach Unterschiedlichkeit in der Demokratie darf nicht so groß sein, dass die Möglichkeit der Zusammenarbeit nicht mehr gegeben ist.“ Sehnsucht? Ein derart emotionales Wort aus dem Munde der Kanzlerin gleicht nach anästhesierenden Merkel-Standards einem regelrechten Gefühlsausbruch. Und doch trifft sie ins Schwarze, verfehlt nur das sich sehnende Subjekt: Die Sehnsüchte, Ängste, Wünsche der SPD können mir gestohlen bleiben, wer sich jedoch ganz offensichtlich zaghaft sehnt, sind Du, ich, wir alle. Sehnsucht nach Veränderung. Irgendetwas, nur nicht das.
Die beiden „Volksparteien“ fuhren im September historisch schlechte Wahlergebnisse ein. „Die GroKo wurde abgewählt,“ polterte daher nicht nur Martin Schulz in der Elefantenrunde in der Wahlnacht – es war allgemeiner Konsens. „Wir stehen für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung,“ versicherte der Schulz-Zug noch Ende November erneut auf Twitter…
…um nur stolze sieben Tage nach diesem Tweet zurückzurudern und gar ein Ministerpöstchen im Kabinett Merkel IV nicht mehr auszuschließen: „Politik ist ein dynamischer Prozess,“ verteidigt Schulz in Orwell’scher Sprachpervertierung seinen U-Turn und krönt sich damit selbst zum neuen Schutzpatron der Rückgratlosigkeit und des Opportunismus.
Es ist diese unerträgliche Heuchelei, diese „Arroganz der Macht“,
die Schulz noch im Sommer der Kanzlerin vorwarf, diese offene Verachtung für die Wählerinnen und Wähler, die in den kommenden vier Jahren zu einer Polilitikerverdrossenheit – Keiner Politikverdrossenheit! Wie arrogant können Volksvertreter eigentlich sein und unterstellen, beides wäre ein und dasselbe? – führen wird, die den Hass auf das politische Establishment in ungekannte Sphären katapultieren wird. Die Verachtung für eine politische Kaste, die derart weit von der Bevölkerung entfernt ist, dass sie ihre Gruppensitzungen statt in Berlin auch auf dem Mond abhalten könnte – wer würde es schon bemerken? Erteilte Mandate interessieren die Mächtigen nicht, nur die Macht als Selbstzweck ist von Interesse.
Der deutsche Donald Trump
Das wird die nächsten vier Jahre auch noch gutgehen, denn, seien wir mal ehrlich: zu einer Revolution wird es in Deutschland nicht kommen, dafür „müsste man den Rasen betreten,“ wusste schon Josef Stalin. Und der Deutsche betritt den Rasen nun mal nicht. Doch um zu erkennen, wozu es sehr wohl kommen wird, reicht ein Blick über den Atlantik.
Die US-Bevölkerung war derart sick and tired von ihrer oligarchischen Politkaste der Bushs und Clintons – dieser graubraunen Einheitsbrühe, aus der nicht als Sieger(in) hervorgeht, wer besser überzeugt, sondern wer die höchsten Wahlkampfspenden sammelt – dass sie lieber einen nichtsnutzigen dummen rassistischen Clown wählten, als die business-as-usual-Kandidatin Hillary. Ein erheblicher Teil der WählerInnen wählte Trump nicht wegen seines widerlichen Rassismus, sondern trotz seines widerlichen Rassismus. Viele linke, progressive New-York-Hipster wählten zwei Mal Obama und dann Trump, nicht weil sie den Donald lieben, sondern weil sie Hillary so sehr hassen. Ihnen war die fleischgewordene Niederträchtigkeit lieber als die fleischgewordene Heuchelei von Jahrzehnten. Sie wollten das White House brennen sehen und warfen dafür die Trump-Bombe ins Oval Office.
Und genau das droht uns nach vier weiteren Jahren GroKo: einen rechtsextremen Hetzer an der Spitze der Bundesrepublik, einen autoritären Demagogen im Zentrum der europäischen Macht. „Das wird niemals passieren!“? Brexit und Trump hätten auch nie passieren können und sind es doch. „Die Deutschen“ wollen Sicherheiten, Gewissheiten, keine großen Sprünge. Ja, doch auch sie haben eine Schmerzgrenze.
Die Linken sind leider unfähig, die Wut der Straße effektiv in Prozente umzuwandeln. Die rechten Hetzer der AfD haben diese Fähigkeit bereits unter Beweis gestellt. Was ihnen fehlt, ist ein Charismatiker. Die einschläfernde Wirkung von Karoanzug-Gauland taugt dafür nicht, Weidel ebenso wenig, Höcke ist ein zu offensichtlicher Nazi, von Storch ist zu offensichtlich dumm, Meuthen ist ein gefährlicher Strippenzieher in der zweiten Reihe, jedoch fehlplatziert in der ersten.
Den deutschen Donald Trump kennen wir noch nicht, er sitzt noch in keinem Parlament und ist derzeit vermutlich noch nicht einmal AfD-Parteimitglied. Doch die AfD hat bewiesen, dass sich ihr Postenkarussell schneller dreht als das aller anderen Parteien. Sie werden ihn gewiss in 2-3 Jahren aus dem stinkenden braunen Hut ziehen. Und die nächste Legislaturperiode wird sein legitimierendes Sprungbrett sein.
- Vier weitere Jahre GroKo und wir bekommen einen deutschen Donald Trump.
Das geht nie gut wenn es keiner schon vor Beginn wirklich will.