Aus der
„Herrschaft des Volkes“ ist ein elitäres Herrschaftssystem geworden. So
schätzt der Publizist Wolfgang Koschnick den Zustand der Demokratie ein.
Die Eliten nutzen sie geschickt für ihre Interessen und Zwecke aus.
Koschnick sieht gegenwärtig keine Alternativen, während andere immer
noch davon reden, die Demokratie wieder zu beleben.
Die Demokratie nach westlichem Muster ist dem Untergang geweiht, ist sich der Journalist und ehemalige Unternehmensberater Wolfgang Koschnick sicher. Sie wieder zu beleben, werde nicht gelingen, sagte er im Sputnik-Interview. Koschnick hat 2017 das Buch „Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr“ veröffentlicht. Darin stellt er unter anderem fest, dass das als „Demokratie“ bezeichnete politische System „zu einem elitären Herrschaftssystem verkommen“ sei, das die Reichen immer reicher und die Armen ärmer mache.
Das politische System in allen etablierten Demokratien von den USA über Europa bis hin nach Japan sei „gekippt“ – und mit ihm die Stimmung der Menschen, so Koschnick. Das wird durch aktuelle Analysen bestätigt, wie etwa die „Wiener Zeitung“ kürzlich in ihrer Onlineausgabe berichtete. Aus den Daten des aktuellen World Values Survey geht laut dem Blatt hervor, dass in den vergangenen zehn Jahren der Ruf nach starken Führern, „die keine Rücksicht auf Wahlen oder das Parlament zu nehmen brauchen“, weltweit lauter geworden ist.
Vertrauen in Politik auf historischem Tiefstand
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AFP 2018/ Kay Nietfeld / dpa
Die beiden Politikwissenschaftler Christopher Achen von der Princeton-Universität und Larry M. Bartels von der Vanderbilt Universität appellieren dem Blatt zufolge in ihrem Buch „Democracy for Realists“, etwas gegen die ökonomische und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zu unternehmen, um die Demokratie wieder zu beleben.
Herrschaftssystem mit selbstzerstörerischer Eigendynamik
„Am Anfang ist die demokratische Begeisterung ziemlich groß. Dann erlebt man die Realität und stellt fest, dass in der Wirklichkeit die Szene von Berufspolitikern beherrscht wird und nicht vom Volk.“ So beschrieb Autor Koschnick im Sputnik-Interview seine grundlegenden Erfahrungen, die viele teilen würden.
„Aus dem demokratischen Ideal von einst ist
längst ein Herrschaftssystem geworden, in dem sich eine besonders
unfähige und üble Spezies von Berufspolitikern an den Schalthebeln der
Macht bequem eingerichtet hat, ihre eigennützigen Interessen verfolgt
und sich aus den staatlichen Töpfen komfortabel bedient.“
Koschnick bezeichnete die gegenwärtigen Demokratien als „gigantische Fehlkonstruktion, die laufend Krisen und Katastrophen erzeugt“. „Der Zusammenbruch der entwickelten repräsentativen Demokratien ist unvermeidlich, weil die selbstzerstörerische Eigendynamik dieser Systeme unausweichlich auf den Kollaps zusteuert.“
„Refaschisierung aller politischen Bereiche“
Der Autor widersprach den aktuell gängigen Behauptungen, die westlichen Demokratien würden vor allem von rechts unter Druck geraten. Den „veritablen Rechtsruck“ gebe es in den politischen Systemen selbst, weltweit. Koschnick sprach von einer „Refaschisierung aller politischen Bereiche“. Dieser in verschiedenen Regionen ähnlich ablaufende Prozess habe strukturelle Ursachen. „Die repräsentativen Demokratien haben sich allesamt zu Oligarchien gewandelt, in denen das Gemeinwohl der breiten Bevölkerung keine Rolle mehr spielt.“ Bis in die 1980er Jahren schien es aus seiner Sicht möglich, dass die demokratischen Systeme ein gewisses Maß an sozialer Gerechtigkeit leisten und sichern könnten. Diese Illusion sei „inzwischen dahingewelkt“.
„Das
ist einfach nur Quatsch“, kommentierte Koschnick die wiederholten
Vorwürfe vor allem an Russland, mit verschiedenen Mitteln die westlichen
Demokratien beeinflussen und zerstören zu wollen. „Immer wenn jemand
finstere ausländische Mächte beschuldigt, das Inland zu beeinflussen,
fällt ihm nichts mehr ein.“ Solchen Vorwürfen könne nur begegnet werden,
indem klar gemacht werde, „dass ausländische Mächte gar nicht dazu
in der Lage sind und auch nicht wirklich ein Interesse daran haben.“
„Unter US-Präsidenten einige Kriegsverbrecher“
Auch US-Präsident Donald Trump wird immer wieder als Gefahr für die Demokratie westlicher Herkunft dargestellt. Er verstehe das gar nicht, sagte der Autor dazu: Trump sei nicht die erste zweifelhafte Persönlichkeit als US-amerikanischer Präsident. „Vor Obama hatten wir George W. Bush, der war auch nicht viel besser. Wenn ich bedenke, was ich heute über Richard Nixon und den Vietnam-Krieg weiß, muss ich sagen: Da gab es unter den US-Präsidenten einige, die vor jedem Gericht, das diesen Namen verdient, als Kriegsverbrecher verurteilt würden.“
Die demokratischen Mechanismen seien von jenen überwältigt worden, die Koschnick als „die alten Mächte“ bezeichnete. „Die neoliberalen Kapitalisten hatten lange genug Zeit, sich in den Demokratien so einzurichten, um sie gründlich zu untergraben. Sie verstehen sich meisterlich in der Technik, die Instrumente der Demokratie zu infiltrieren und sie für ihre Zwecke umzuformen.“
Breite Bevölkerung misstraut Politikern
Das sei zum Beispiel an den politischen Parteien erkennbar: Sie seien „ein Haufen von ein paar Hunderttausend Mann, allesamt Rentner, die im Grunde genommen mehr aus Gründen der Geselligkeit als aus anderen Gründen an den politischen Prozessen scheinbar teilnehmen“. „Es gibt keine demokratische Entscheidung von unten nach oben. Alles, was an politischen Entscheidungen wichtig ist, wird von oben nach unten gemacht.“ In seinem Buch bringt Koschnik dafür verschiedene konkrete Beispiele.
Die breite Bevölkerung bemerke das, stellte der Autor klar, der unter anderem als Leiter der Auslandsabteilung des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach tätig war. „Sie weiß, dass sie den Politikern nicht mehr trauen kann. Sie weiß, dass sie nur noch mit gesundem Misstrauen reagieren kann – und einer großen, etwas diffusen Politikverdrossenheit.“ Koschnick betonte, dass es den Menschen in den Demokratien besser als unter vordemokratischen Systemen gehe. „Aber in den entwickelten Demokratien geht es ihnen wieder wesentlich schlechter als noch in den frühen Demokratien.“ Es handele sich um einen globalen Niedergang.
Unaufhaltsamer Niedergang
Mit der Demokratie sei das Versprechen wachsender Wohlfahrt, zunehmender sozialer Gerechtigkeit, nachhaltiger Chancengleichheit, Generationengerechtigkeit und der Überwindung von Elend und Armut verbunden. Dazu gehöre, „dass die Menschen nicht Untertanen sind, sondern ihr Geschick in die eigenen Hände nehmen können“. „Nur die freien und gleichberechtigten Bürger sind die legitimen Inhaber der staatlichen Ordnungsmacht und Herrschaftsbefugnis.“ Das würden aber die Demokratien in den herrschenden Systemen nicht mehr gewährleisten.
In seinem Buch verweist der Autor zumindest auf das Modell Schweiz
mit seinen demokratischen Mechanismen. Es werde aber überschätzt und
sei nur ein Mischsystem, „keine direkte Demokratie“. Die Entscheidungen,
die in der Schweiz gefällt würden, „sind nicht alle sehr vernünftig“.
Die eidgenössische Bevölkerung könne zwar stets Einfluss nehmen, was
aber nur selten genutzt werde.
„Ich kann nicht erkennen, dass irgendwelche Kräfte am Wirken sind, die die demokratischen Werte wieder real und lebendig machen“, zeigte sich Koschnick skeptisch. Er sieht als Alternative auch keine Partei, die das Wort in ihrem Namen trägt. „Der Niedergang ist unaufhaltsam und wird in den nächsten Jahren kommen“, schätzte er fatalistisch ein.
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Foto: Privat
Publizist Wolfgang Koschnick