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Meinung
Europa zum Jahresende 2018: Ein Bild des Jammers
31.12.2018 • 06:45 Uhr
Die EU versinkt immer mehr in seinen Problemen. Ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Wohin man auch blickt im Europa des Jahres 2018: Von
Euphorie keine Spur. Der Putz an der Fassade bröckelt bedrohlich. Die
Risse ziehen sich quer durch das sogenannte "Europäische Projekt". Auch
der verfrüht als Retter auserkorene Macron kann daran nichts ändern.
von Pierre Lévy, Paris
London,
Berlin, Rom, Madrid, Brüssel, Stockholm. Und Paris. Angenommen, ein
überzeugter Europäer wäre vor einigen Jahren aus der EU abgereist und
würde erst heute wieder dort landen – er wäre erschüttert, entsetzt, ja:
wohl am Boden zerstört. Wohin er den Blick auch wendete, er sähe nur
Trümmer und Verheerung. Angefangen bei einer Tatsache von historischem
Ausmaß - im wahrsten Sinne des Wortes.
Denn
zum ersten Mal wird ein Land diese Europäische Union wieder verlassen,
ganz demokratisch entschieden. Gewiss, noch sind nicht alle Turbulenzen
überstanden. Doch wird das Vereinigte Königreich – so oder so,
vielleicht etwas später als einige erwartet hatten - wieder selbst die
Kontrolle über seine Gesetze, seine Staatskasse, seine Grenzen
übernehmen.
Was Deutschland angeht, so ist dieses Land seit den
Wahlen im September 2017 in eine dauerhafte politische Instabilität
gesunken. Katastrophale Ergebnisse bei Wahlen in einzelnen
Bundesländern, eine wacklige "Große Koalition" und eine
CDU-Parteichefin, die sich sehr drastisch zum Rücktritt gezwungen sieht:
Niemand wagt einzuschätzen, wann das Chaos ein Ende nehmen könnte, das
die Regierung in Berlin auf europäischer Bühne lähmt.
In Rom ist
nun der Alptraum der Europäischen Kommission wahr geworden: Die barocke
Koalition aus "Populisten" und "Extremen Rechten" ist an der Macht und
fühlt sich keineswegs an die "heiligen" Regeln des Euro-Verbundes
gebunden. Da werden zwar bisweilen mal Zeichen der
Kompromissbereitschaft nach Brüssel geschickt. Tatsache bleibt aber:
Eines der Länder, die über Jahrzehnte zu den größten Enthusiasten des
Euro gehörten, hat das Lager gewechselt.
Spanien hatte sich noch
vor einigen Monaten als eines der letzten Länder gerühmt, gegen solche
"extrem Rechte" immun sein. Doch die Vox-Partei, bisher eine
Randgruppierung, ist gerade mit Siegesfanfaren in das Regionalparlament
von Andalusien eingezogen und nährt realistische Hoffnungen, sich mit
der konservativen Partido Popular zu verbünden, um vielleicht schon 2019
in Madrid mit an die Macht zu kommen. Belgien ist gerade in eine
Regierungskrise gestürzt. Schweden hat vier Monate nach den Wahlen noch
immer keine Regierung gebildet.
Und
falls unser gerade gelandeter europäischer Ureinwohner geneigt wäre, im
Osten Trost zu suchen, würde er angesichts der dort gebotenen
Schauspiele verzweifeln. Polen, und Ungarn noch mehr, stehen im Konflikt
mit der EU, die gegen beide Staaten Verfahren wegen "schwerer
Verletzungen des Rechtsstaates" eingeleitet hat. Rumänien ist dabei,
sich bei den "unliberalen" schwarzen Schafen einzureihen, wenn auch gar
mit einer sozialdemokratischen Regierung. Und ebendiese Regierung in
Bukarest übernimmt am 1. Januar für sechs Monate die Präsidentschaft des
Europarates.
In dem Trümmer- und Minenfeld, das Europa derzeit
seinen Bewunderern bietet, darf man auch keineswegs Frankreich
vergessen. Man könnte die Bewegung der Gelbwesten unter allen übrigen
Mitgliedsstaaten, abgesehen vom Brexit, wohl sogar als weitreichendste
und tiefgreifendste, und als für die europäische Integration
gefährlichste Krise bezeichnen. Sie ist ursprünglich aus der mehr als
legitimen Ablehnung einer zusätzlichen Ökosteuer auf Kraftstoffe
entstanden, mit der nach offizieller Aussage Energiesparmaßnahmen
aufgezwungen werden sollten, "um etwas gegen das Ende der Welt zu tun".
Diese
Bewegung verbindet nun mit der gleichen Dynamik das Aufbrechen der
sozialen Frage, indem sie offenlegt, dass Armut und soziale Notlage
nicht nur das Schicksal der gesellschaftlich bereits Ausgeschlossenen
sind, sondern Millionen von Haushalten betreffen, die zur arbeitenden
Bevölkerung gehören. Das hat die Bedeutsamkeit einer nationalen Frage,
wie die allgegenwärtige französische Fahne und die stets angestimmte
Marseillaise deutlich machen.
Zwei Wörter sind als Leitmotiv immer
wieder zu hören: Kaufkraft, damit man anständig leben kann, und
Volkssouveränität, damit man gemeinsam über Wohl und Wehe entscheiden
kann. Eine beschleunigte Politisierung im Selbstlauf, die sich in einen
Satz fassen lässt: "Wir sind das Volk." Für einen französischen
Präsidenten, der den schamlosen Reichtum und die übernommene Arroganz
symbolisiert, ist das ein Pulverfass und wahrlich verheerend.
Sein
Kurs ist nicht allein in Frankreich gefallen und weiter im Sinken
begriffen. Er hat auch unter den EU-Eliten beträchtlich an Ansehen
verloren, die in ihm noch vor einem Jahr den jungen, smarten, ja
brillanten Retter der Union sahen. Insbesondere die deutsche Presse will
ihm so gar nicht verzeihen, dass er von diesem Jupiter-Sockel gestürzt
ist. Aus ist es mit den Hoffnungen auf "kühne" Reformen und europäische
Ambitionen, von denen in seiner Rede an der Sorbonne vor einem Jahr so
Frohlockendes zu hören war.
Am 10. Dezember nun hat der Herr im
Élysée-Palast in seiner feierlichen Ansprache vor allem zwei Sätze
überstrapaziert: "Meine einzige Sorge sind Sie" und "Mein einziger Kampf
ist für Frankreich." Der Erste ist ungewollt doppelsinnig wie komisch,
der Zweite natürlich glatt geschwindelt. Beide offenbaren aber die Kraft
einer Bewegung, die diesen "Verfechter der europäischen Souveränität"
gezwungen hat, Europa an jenem Abend abzuschreiben.
Nichts wird je wieder so sein wie zuvor.
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ENDE