Türkei Aktienrally trotz Erdbeben: Was steckt hinter dem türkischen Börsenwunder?
Weite Landstriche in der Türkei wurden vom Erdbeben verwüstet, trotzdem steigen die Kurse an der Börse in Istanbul
Knapp zwei Wochen nach dem Erdbeben in der Türkei und dem benachbarten Syrien wird das Ausmaß der Schäden erst schrittweise begreifbar. Mehr als 41.000 Tote wurden bislang allein in der Türkei gezählt, doch Tausende Opfer werden noch unter den Trümmern vermutet. Eine Bilanz der wirtschaftlichen Schäden und langfristigen Folgen ist noch gar nicht möglich. Doch an einem Ort scheint es, als habe die Wirtschaft die Katastrophe bereits abgehakt: An der türkischen Börse herrscht heile Welt. Zumindest stehen die im Leitindex BIST100 zusammengefassten Aktienkurse bereits wieder deutlich über dem Stand von vor dem Beben.
Der türkische Leitindex stieg am heutigen Montag weiter auf zeitweise mehr als 5150 Punkte. In den ersten Tagen nach dem Beben vom 6. Februar war das Börsenbarometer um rund 15 Prozent eingebrochen. Dann hatte die Börsenaufsicht den Handel für eine Woche ausgesetzt. Der Plan, den Markt zu beruhigen, ist aufgegangen. Seit die Börse vergangene Woche wieder öffnete, schossen die Kurse um gut 23 Prozent nach oben.
Damit knüpft der türkische Aktienmarkt an seine Stärke vom vergangenen Jahr an. Die Türkei, viele ihrer Unternehmen und die Börse gehören zu den Gewinnern des ersten Kriegsjahres in der Ukraine. Die Exporte boomen zum einen, weil die gegenüber Dollar und Euro stark gefallene Landeswährung Lira türkische Produkte im Ausland billiger macht. Und zum anderen, weil die Türkei zu einem der wichtigsten Lieferanten für das aufgrund der westlichen Sanktionen von vielen Handelspartnern abgeschnittene Russland geworden ist.
Gleichzeitig bleiben angesichts der extrem hohen Inflation türkischen Sparern nur wenige Alternativen, um ihr Geld anzulegen. Auf Bankkonten und bei festverzinslichen Wertpapieren sind trotz hoher nominaler Zinsen die realen Verluste, also nach Abzug der Inflationsrate, hoch. Die Immobilienpreise sind bereits so stark in die Höhe geschossen, dass sich viele einen Einstieg gar nicht mehr leisten können. Der BIST100 war zwar bereits vor dem Beben von seinem Höchststand Anfang des Jahres etwas zurückgekommen. Seit Beginn der russischen Invasion vor fast genau einem Jahr hat er sich aber aktuell immer noch weit mehr als verdoppelt.
„Investoren sind nicht dumm!“
Die Rally in den vergangenen Tagen beruht allerdings keineswegs nur auf dem Vertrauen der Anleger in den türkischen Aktienmarkt. Vielmehr sorgte die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan quasi per Dekret dafür, dass die Kurse nach Wiedereröffnung des Handels nach oben sprangen. So hatten die Behörden Anfang der Woche angeordnet, dass private Pensionsfonds ihre Investitionen in türkische Aktien deutlich erhöhen müssen. Diese Fonds bekommen staatliche Zuschüsse. Von denen müssen sie nun mindestens 30 statt bisher 10 Prozent an der Börse anlegen.
Gleichzeitig gaben mehrere Börsenschwergewichte wie Turkish Airlines, Türk Telekom oder Halkbank bekannt, eigene Aktien zu kaufen. Dazu hatte die Regierung extra nach dem Erdbeben eine zeitweise Steuersenkung für solche Rückkaufprogramme verkündet. Der türkische Staatsfonds hat zudem Berichten zufolge ein spezielles Programm aufgelegt, in dessen Rahmen er Aktien kaufen kann, mit dem Ziel, die Preise in Zeiten starker Kursschwankungen zu stabilisieren. Das Geld dazu soll er von staatlichen Banken erhalten.
Diese Maßnahmen hatten zumindest bislang den gewünschten Erfolg. „Investoren sind nicht dumm. Sie merken, aus welcher Richtung der Wind weht“, zitiert die „Financial Times“ Murat Gülkan, den Chef des Beratungsunternehmens OMG Capital Advisors in Istanbul. Die staatlichen Maßnahmen seien ein Signal. In Erwartung dieses Geldes gebe es nur wenige willige Verkäufer an der Börse – im Moment. Langfristig könnten sich die Eingriffe aber rächen.
Die Zweifel, dass der Effekt dauerhaft anhält, sind groß. Die Regierung kann diese Art der Stützungsmaßnahmen nicht dauerhaft aufrechterhalten. Um auf diesem hohen Niveau zu bleiben, benötige der Aktienmarkt immer wieder neue Käufe, sagte Nick Stadtmiller Produktchef beim Analysehaus Medley Global Advisors dem Finanzportal „Bloomberg“. Die Behörden müssten ihre Interventionen dauerhaft fortsetzen, um einen Zusammenbruch des Marktes zu verhindern.
Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen
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