Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Jörg Becker sind
PR-Agenturen übermächtig geworden. Aus dem Hintergrund lenken sie die
Geschicke der Welt mit. Nicht nur westliche Regierungen nehmen deren
Dienste immer öfter in Anspruch. Ein (deutlich gekürzter)
Exklusivabdruck aus dem Buch „Lügen die Medien?“.
Zeitungsverleger, Medieninhaber und Medienbetreiber sehen sich in
ihrer Sonntagsrhetorik gerne als Wächter der Demokratie. Doch dieser
Anspruch ist nichts anderes als dreist. Erstens gibt es in keiner
journalistischen Redaktion verbindliche Statuten, die den Journalisten
Freiräume gegen ihre Chefs garantieren. Und zweitens wären unsere Medien
nur dann wirklich eine vierte Gewalt, wenn sie plural und umfassend
sowie kontrovers berichteten und ein breites, repräsentatives
Meinungsspektrum vorhielten.
Doch genau das tun sie nicht. Stattdessen
fallen sie auf Kampagnen herein und lassen sich vor den Karren von
Partikularinteressen spannen, erläutert der Politikwissenschaftler Jörg
Becker im Interview mit Jens Wernicke für das aktuelle Buch „Lügen die
Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche
Meinung“. Becker meint:
Die Macht manipulativer PR, die sich auch und
insbesondere der Medien bemächtigt, ist inzwischen so groß, dass sie die
Demokratie infrage stellt.
Herr Becker, Ihrem Buch „Medien im Krieg – Krieg in den Medien“
verdanken wir viele wertvolle Erkenntnisse über Kriegspropaganda und die
Techniken zur Manipulation der öffentlichen Meinung – vor allem zur
Arbeit mächtiger PR-Agenturen. Was sind das für Institutionen und was
tun sie genau?
In der Tat sind viele PR-Agenturen inzwischen übermächtig geworden
und lenken als ein gewichtiger Akteur die Geschicke der Welt aus dem
Hintergrund mit. Konkret beherrschen vier gigantische PR-Verbundsysteme
die gesamte Welt von Werbung, Public Relations, Medien und Consulting.
Im Grunde kann jeder sie für jeden denkbaren Zweck anheuern: einen
Präsidenten stürzen, die blutige Niederschlagung eines Aufstandes aus
den Medien heraushalten, einen von langer Hand beabsichtigten und
geplanten Krieg endlich lostreten, indem man ihn auf manipulativste Art
und Weise der Bevölkerung „schmackhaft“ macht, und so weiter.
Lobbyingstrategie gibt es inzwischen sogar wissenschaftliche Fachliteratur.
Unter den PR-Gruppen ist Omnicom weltweit und eindeutig die
mächtigste im Geschäft. Mit einem Jahresumsatz von geschätzten 20
Milliarden Euro ist sie in New York ansässig. Der zweite wichtige Akteur
ist die englische WPP-Gruppe mit einem geschätzten Jahresumsatz von 14
Milliarden Euro und 160.000 Mitarbeitern in 200 Büros und 108 Ländern.
Zur französischen Gruppe Publicis, dem global drittwichtigsten
PR-Akteur, gehören zum Beispiel die Firmen Leo Burnett Worldwide,
Saatchi & Saatchi und Publicis Pixelpark. Unter Leitung von Maurice
Lévy in Paris hat diese Gruppe 77.000 Mitarbeiter und erwirtschaftet
einen Jahresumsatz von fast 10 Milliarden Euro. An vierter Stelle
schließlich rangiert die Interpublic Gruppe in New York mit einem Umsatz
von sieben Milliarden Euro und den Werbeagenturen McCann Erickson,
Weber Shandwick und FCB.
Was bedeutet es konkret, diesbezüglich festzustellen, diese
Institutionen seien mächtig, ja, längst übermächtig geworden und
regierten im Hintergrund mit?
Nun, zunächst einmal sei der Hinweis erlaubt, dass allein die
Jahresumsätze dieser Agenturen den Staatshaushalt sehr vieler Staaten
übertreffen. Doch ein großer Teil der Macht dieser Agenturgruppen ist
gar nicht monetärer, sondern politischer Natur. Denn die Chief Executive
Officers dieser Agenturen sind essentialer Bestandteil westlicher
Elitenetzwerke – man sieht und trifft sich, beispielsweise auf dem
jährlichen Weltwirtschaftsforum in Davos.
So ist zum Beispiel Lévy, CEO von Publicis, gleichzeitig Präsident
der französischen Arbeitgeber und sitzt in den USA im Beirat des
mächtigen Council on Foreign Relations. Ex-Außenminister Dietrich
Genscher war gleichzeitig sowohl Ehrenvorsitzender des Beirats der
PR-Agentur Consultum Communications als auch Ehrenvorsitzender des
Aufsichtsrats der PR-Agentur WMP Eurocom.
Und der frühere Berliner
SPD-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder arbeitet gegenwärtig als
Seniorberater der PR-Agentur Ketchum Pleon.
Während WMP Eurocom beispielsweise im Auftrag der türkischen
Regierung das Türkeibild in der deutschen Presse aufhübschen sollte,
hatte Ketchum Pleon es zum Beispiel übernommen, für die russische
Regierung ein positives Russlandbild in den deutschen Medien
herzustellen.
Sie sprechen von Regierungen als Auftraggebern von Public Relations? Arbeiten denn alle Regierungen mit PR-Agenturen zusammen?
Davon ist in der Tat auszugehen. Es gibt hier keinen Unterschied mehr
zwischen einer „normal“ westlichen, der russischen oder der
chinesischen Regierung. Lassen Sie mich dazu vielleicht einige Beispiele
geben und diese dann einordnen und bewerten. Als erstes Beispiel fällt
mir die linke Regierung unter Jonas Savimbi in Angola ein, die 1985 das
US-amerikanische Consulting-Unternehmen Black & Manafort unter
Vertrag genommen hatte, ihr eigenes Image in den USA zu verbessern.
Ich kann aber auch an den rechten Jörg Haider denken, den früheren
Landeshauptmann von Kärnten und in den neunziger Jahren einer der
wortgewaltigsten Rechtspopulisten in Europa. Er ließ sich von der
US-amerikanischen PR-Agentur des 2015 verstorbenen Peter D. Hannaford
beraten, der dem konservativen Flügel der republikanischen Partei
angehörte und enger Berater von Ronald Reagan war.
Seit China und Russland Mitglieder der WTO sind, also seit 2001
respektive 2012, und sich damit dem globalen kapitalistischen
Handelssystem angeschlossen haben, arbeiten auch sie unter anderem mit
großen, westlichen PR-Firmen zusammen. Russland vergab seinen ersten
großen Auftrag an eine westliche PR-Firma im Jahr 2006. Und zwar in Höhe
von zwei Millionen US-Dollar an GPlus Europe in Brüssel, eine
Tochterfirma von Ketchum, um Russlands Image als Gastgeber des
G8-Gipfels in St. Petersburg zu verbessern.
Dieselbe Agentur war für Russland auch während des Georgienkrieges im
Sommer 2008 tätig – wohingegen Georgien während dieses Krieges von der
Agentur Aspect Consulting betreut wurde. Das Medienergebnis dieses
Wettstreits zweier Agenturen ist bekannt: Aspect war „besser“ als GPlus,
sodass das Medienbild „Russischer Bär überfällt kleine Demokratie“ bei
den Rezipienten haften blieb.
Im Sommer 2008 gab es im Übrigen zwischen zwei weiteren westlichen
PR-Agenturen ein Hauen und Stechen um die globale mediale Vorherrschaft
bei der Interpretation zweier anderer Konflikte. Da ging es zum einen im
Vorfeld der Olympischen Spiele in China im März 2008 um Berichte über
chinesische Repressionen gegen tibetische Demonstranten in Lhasa und den
vermeintlich deswegen von interessierter Seite erwünschten
Olympia-Boykott in China. Und da ging es zum anderen um die Olympischen
Spiele selbst.
Auf der Seite der pro-tibetanischen und anti-chinesischen Aktivisten
standen zahlreiche NGOs, darunter auch die sogenannten „Reporter ohne
Grenzen“, deren Medienaktivitäten von der Werbeagentur Saatchi &
Saatchi gemanagt werden. Auf der chinesischen Seite war die PR-Agentur
Hill & Knowlton, die die Spiele zu verherrlichen suchte. Wiederum
war der Medienrezipient lediglich Spielball von zwei miteinander
konkurrierenden westlichen Agenturen, erhielt jedoch weder über Tibet
noch über China, geschweige denn über die realen Interessen und
Konflikte im Hintergrund irgendwelche Realinformationen.
Kann man aus diesen Russland- und China-Beispielen folgern, dass
beide Länder inzwischen genauso korrupt wie der Westen und auch auf
diesem verlogenen PR-Trip sind?
Einerseits ja.
Andererseits möchte ich aber ein paar Argumente gegen
diese simple Gleichsetzung anführen. Erstens gibt es eine historische
Dimension. Zur selben Zeit, als Marx und Engels im „Manifest der
kommunistischen Partei“ vom Ende der „nationalen Selbstgenügsamkeit“ und
der „Entwicklung eines allseitigen Verkehrs“ sprachen – also über
Globalisierung redeten –, gründete sich 1864 in den USA mit dem
Unternehmen von J. Walter Thompson die weltweit erste Werbeagentur, die
in der WPP-Gruppe noch heute existiert. Mit anderen Worten: Gegenüber
Spätzündern wie Russland und China haben westliche Länder im Werbe- und
PR-Sektor einen Erfahrungsvorsprung von rund 150 Jahren.
Zweitens muss man nüchtern festhalten, dass die
internationalen russischen und chinesischen PR-Kampagnen
reaktiver und nicht aktiver Natur sind. Ein russischer
TV-Sender wie Russia Today
etwa ist chronologisch und
kausal nur als Reaktion auf viele sogenannte
bunte
Revolutionen in Osteuropa wie zum Beispiel in der
Ukraine oder in
Georgien zu begreifen, die mit vielen
Hunderten von Millionen US-Dollar –
etwa von der
Soros-Stiftung oder der National Endowment
for Democracy –
aus den USA finanziert wurden.
Dasselbe gilt für China.
Der englische TV-Sender CCTV-9 aus China
begann seinen Sendebetrieb im Jahr 2009, nachdem die für die chinesische
Regierung tätige US-amerikanische PR-Agentur Hill & Knowlton die
weltweite Imagekampagne für die Olympischen Spiele 2008 in den Sand
gesetzt hatte und weltweit gehässige Bilder und Texte über die Spiele
die internationale Medienszene beherrschten.
Chinas Antwort auf deren
Versagen im Sommer 2008 war dann das englischsprachige CCTV-9.
Welche Rolle spielen PR-Agenturen im Zusammenhang mit Krieg und Terrorismus?
Lassen Sie mich exemplarisch zwei besonders krasse Fälle hervorheben,
in denen PR-Agenturen Krieg und Terrorismus angeheizt haben. Erstens:
Mitten im Bosnienkrieg, genauer gesagt am 15. August 1992,
veröffentlichte die New York Times eine ganzseitige, also riesige
Anzeige der drei wichtigsten jüdischen Verbände in den USA, nämlich des
American Jewish Committee, kurz AJC, des American Jewish Congress,
ebenfalls in Kurzform AJC, und der Anti-Defamation League, kurz ADL. Wo
alle ernstzunehmenden jüdischen Stimmen von der Einzigartigkeit von
Auschwitz sprechen, behaupteten nun auf einmal drei große jüdische
Verbände, dass sich im Bosnienkrieg Auschwitz ein zweites Mal ereigne.
Was war geschehen?
Befragt nach seinem größten PR-Erfolg bei der
Vermarktung der Kriegsinteressen der Regierung von Bosnien und
Herzegowina, antwortete 1992 James Harff von der US-amerikanischen
PR-Agentur Ruder Finn, dass es seiner Agentur gelungen sei, mit dieser
Anzeige „die Juden auf unsere Seite zu ziehen“. Namentlich machten die
drei Verbände „die Serben“ für ein zweites Auschwitz verantwortlich.
Damit wurde Auschwitz zu einer jederzeit von PR-Agenturen käuflichen
Ware verwandelt und in den übelsten Dreck gezogen, um jemand anderen mit
der stärksten Waffe, die man im Westen kennt, zu verteufeln, ihn zu
entmenschlichen, einen Krieg gegen ihn nicht nur gutzuheißen, sondern
diesen gar zur befreienden „Pflicht“ zu erklären.
Mein zweites Beispiel ist, bitte entschuldigen Sie meine heftige
Sprache, leider genauso ekelhaft. Nach Recherchen des Bureau of
Investigative Journalism vom Februar 2016 hatte die britische PR-Firma
Bell Pottinger von 2007 bis 2011 Kontrakte mit dem Pentagon in Höhe von
540 Millionen US-Dollar und im Jahr 2006 einen anderen Vertrag über 120
Millionen US-Dollar. Bell Pottinger produzierte erstens negative
TV-Werbung über Al-Qaida, zweitens Nachrichtenmaterial, das so aussehen
sollte, als sei es von arabischer Hand gemacht, und stellte drittens
Fake-Videos her, die von Al-Qaida stammen sollten.
Diese Filme auf CD,
die nach einem Bombardement abgeworfen wurden, enthielten einen Code,
der an Bell Pottinger eine Rückmeldung schickte, wann und wo die CDs
abgespielt worden waren.
Aber ist PR nicht für jeden, der ein wenig Grips im Kopf hat,
sofort als Humbug, als Lug und Trug zu erkennen? Jeder kennt doch seine
eigene Wirklichkeit und kann sie mit den frommen Sprüchen irgendwelcher
PR-Kampagnen vergleichen.
Ich wäre mit der Einschätzung, dass Werbung und PR-Kampagnen plump
daherkommen und vom Konsumenten sofort entlarvt werden, sehr vorsichtig.
Zum einen zeigen in der Tat viele Umfragedaten über die Glaubwürdigkeit
verschiedener Institutionen, dass die Befragten politischen Parteien
und Werbung die geringste Punktezahl auf einer Glaubwürdigkeitsskala
einräumen. Zum anderen aber weist die Werbe- und PR-Industrie eine
kontinuierlich gute Wachstumsdynamik auf, längst gibt es in Deutschland
sehr viel mehr Vollzeitarbeitskräfte in der PR-Industrie als etwa im
Journalismus. War die PR 1950 noch der Bittsteller des Journalismus, so
ist der Journalismus inzwischen zum Bittsteller und zum Knecht der PR
herabgesunken.
Und während die Studierendenzahl im Bereich der
Kommunikationswissenschaft fällt, steigt sie in den Studiengängen der PR
seit Langem kontinuierlich an.
Diese Entwicklung spiegelt sich auch darin wider, dass Regierungen
immer mehr Geld für PR ausgeben. Ein Ende September 2016
veröffentlichter Bericht des „Government Accountability Office“ macht
dies in aller Deutlichkeit und anhand einer Fülle von Beispielen klar.
Er zeigt auf, dass die US-Regierung jährlich den stolzen Betrag von 1,5
Milliarden US-Dollar für Werbung und PR ausgibt! An erster Stelle steht
dabei das Pentagon, das allein im Jahr 2008 860 Millionen US-Dollar für
PR und Werbung ausgab und für das Haushaltsjahr 2017 wiederum 575
Millionen US-Dollar beantragt hat.
Man kann in diesem Bericht des US-amerikanischen
Rechnungsprüfungsausschusses im Übrigen auch lesen,
dass ein Großteil
der Regierungsausgaben bei PR und
Werbung sich auf die neuen sogenannten
Sozialen
Medien im Netz beziehen. Doch bei allem technischen
und
sonstigen Wandel bleiben die alten Rosstäuschertricks,
Verzerrungen,
Einseitigkeiten, Feindbildmechanismen
und Manipulationen stets
dieselben.
Anhand dieses Berichtes kann man überdies einen gewichtigen
Unterschied zwischen den USA und Deutschland feststellen: Liegt die
Veröffentlichung des genannten US-Berichtes nämlich auf der klassisch
gewachsenen Linie eines „First Amendment“, also der von der
US-Verfassung geforderten Absolutheit der Meinungsfreiheit, aus der sich
eine Vielzahl von typisch US-amerikanischen
Informationsfreiheitsgesetzen ergibt, so überwiegt in Deutschland nach
wie vor ein autoritäres und von oben nach unten strukturiertes
Staatsverständnis, wenn es um das Informationsverhalten der Regierung
geht.
Als zum Beispiel die Bundestagsfraktion der CDU/CSU im Jahr 2004
in
einer Großen Anfrage Details der Mittelvergabe durch das Bundespresseamt
an verschiedene PR-Agenturen wissen wollte, hieß es in der
Regierungsantwort, dass man „zu vertraglichen Einzelheiten aus Gründen
der Vertraulichkeit keine Stellung [nehmen] könne“. Diese harte Linie
hielt die Bundesregierung auch später bei einer ähnlichen Kleinen
Anfrage der Fraktion Die Linke 2007 aufrecht.
Was bedeutet es für die Demokratie, wenn Regierungen nun nicht
mehr tun, was das Volk getan haben will, sondern stattdessen dazu
übergehen, dieses manipulativ vor den Karren eigener Pläne zu spannen?
Dann ist doch das ganze Gerede von der sogenannten Vierten Gewalt
hinfällig, oder?
Auf diese Frage muss ich leider zynisch anhand einer Publikation der
Bertelsmann-Stiftung antworten, in der die Autoren ohne rot zu werden
vor den Gefahren einer demokratischen Wahl warnen. In einem sogenannten
„Policy Paper“ mit dem Titel „Die Kunst des Reformierens. Konzeptionelle
Überlegungen zu einer erfolgreichen Regierungsstrategie“ der drei
Politikwissenschaftler Friedbert W. Rueb, Karen Alnor und Florian Spohr
aus dem Jahr 2009 heißt es:
„Um
ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden, muss eine Regierung
sich im Zweifelsfall auch gegen den empirischen und kontingenten
Volkswillen durchsetzen. (…)
Die Verantwortung für etwas fehlt, wenn die Exekutiven nur
konfliktscheu und populistisch in ihren Reformbemühungen auf aktuelle,
demoskopisch ermittelte Wählerstimmungen reagieren, vorschnell Drohungen
von Interessengruppen nachgeben und unter den Prämissen von ‚blame
avoidance‘ und ‚electoral threat‘ agieren.“ Damit ist die Katze wohl
endlich aus dem Sack: Die herrschende politische Kaste hat Angst vor
einer „Wahlandrohung“!
Wenn wir hier über die Angst der herrschenden politischen Elite
vor Machtverlust durch Wahlen reden und darüber, dass sich diese Elite
dagegen mit massiven Desinformationen und PR-Kampagnen wehrt, dann
können wir nicht nur über Regierungshandeln reden, sondern müssen auch
die Geheimdienste in den Blick nehmen.
Das ist völlig richtig.
Und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist die
Kernaufgabe aller Nachrichtendienste das Geschäft mit Information und
Desinformation. Zweitens mussten wir in den letzten Jahren deutlich
erleben, dass in Deutschland der BND und das Bundesamt für
Verfassungsschutz durchaus ein demokratisch nicht kontrolliertes
Eigenleben führen.
Wie eng der BND noch in den neunziger Jahren mit deutschen Medien
kooperiert hat, kann man in Erich Schmidt-Eenbooms Buch Geheimdienst:
Politik und Medien nachlesen. Es ist wirklich beachtlich, wie viele
renommierten Vertreter von ZDF, Deutscher Welle und Deutschlandfunk mit
dem BND in gutem Kontakt gestanden haben sollen.
Für die Gegenwart hat außerdem Wikileaks ein spannendes Memorandum
der CIA vom Frühjahr 2010 ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Ganz
unverhohlen fordert die CIA die westlichen Medien darin auf, in der
Kriegsberichterstattung über Afghanistan die Frauenfrage in den
Vordergrund zu rücken, da afghanische Frauen der ideale und humanste
Botschafter gegen die Taliban seien.
Berichte über afghanische Frauen
seien besonders in französischen und deutschen Medien wichtig, da es in
diesen Ländern große Kriegsskepsis gäbe.
Jenseits von Mord und Totschlag, jenseits von Krieg und
Terrorismus: Gibt es PR nicht auch für die ganz normalen Lügen, die
kleinen Dinge des Alltags? Warum sprechen Sie so viel von einer Allianz
von PR-Industrie und Krieg?
Ich spreche nur deswegen so häufig gerade von dieser Allianz, weil
Krieg der Extremfall der menschlichen Existenz ist und weil die
systematische Verblödung von Politik und Öffentlichkeit im Auftrag von
Regierungen gerade dort besonders anstößig ist.
Aber Sie haben prinzipiell recht mit Ihrer Kritik,
denn die PR-Industrie missbraucht die Massenmedien bereits seit Jahrzehnten für ihre sehr spezifischen Eigeninteressen.
Nach empirischen Studien von Barbara Baerns und René Grossenbacher
kann als gesichert gelten, dass PR-Firmen, Pressestellen von Unternehmen
und Lobbygruppen die Medienberichterstattung weitgehend bestimmen.8
Nahezu zwei Drittel aller in den Medien verbreiteten Meldungen sind
nicht selbständig recherchiert, sondern stammen aus Pressestellen von
privaten und öffentlichen Institutionen oder PR-Agenturen und werden den
Redaktionen von sogenannten Medienservices als fertige Artikel
„häppchengerecht“ feilgeboten.
80 Prozent aller Nachrichten in den
Medien stützen sich auf lediglich eine einzige Quelle, die sich bei
weiteren Recherchen dann als eben jene Pressestelle entpuppt, die die
Meldung in Umlauf gebracht hat.
Was heißt das konkret?
Lassen Sie mich das am besten anhand einiger konkreter Beispiele veranschaulichen.
Erstens: Schon vor einiger Zeit verfasste die Journalistin Eva-Maria Thoms einen
Bericht über die Boykottdrohungen der Deutschen Telekom – der Konzern
mit dem größten Werbeetat Deutschlands – gegenüber solchen Medien, die
unliebsame Berichte über sie veröffentlichen würden. Die Zeitschrift,
die diesen Artikel ursprünglich bei Frau Thoms in Auftrag gegeben hatte,
druckte ihn aus Angst vor einem „Privatkrieg“ mit der Deutschen Telekom
gar nicht erst ab. Daraufhin bot die Autorin ihren Artikel vier
Tageszeitungen, zwei Wochenzeitungen und drei Magazinen an – ohne
Erfolg. Schließlich griff die WirtschaftsWoche zu, sicherte sich die
Rechte und druckte den Artikel nie.
Zweitens: Firmen aus der
Konsumgüterbranche sollen 2004 bis zu 250.000 Euro für eine
Namensnennung ihres Unternehmens über die Firma Dolce Media – eine Firma
von ZDF-Enterprises und den Brüdern Christoph und Thomas Gottschalk –
an den Moderator Thomas Gottschalk in seiner Talkshow „Wetten, dass ..?“
bezahlt haben.
Drittens: In einem „Tatort“ des
SWR sollen 2005 für das Bild eines Joghurtbechers der Firma Bauer 17.000
Euro bezahlt worden sein.
Viertens: Im September 2005 wurde bekannt,
dass die von den Arbeitgeberverbänden gegründete Initiative Neue Soziale
Marktwirtschaft, kurz INSM, sogenannte „Themenplacements“ in der
ARD-Serie „Marienhof“ gekauft hatte. Gegen Geld tauchten in „harmlosen“
Schauspielergesprächen neoliberale Politikkonzepte der Arbeitgeber auf.
Fünftens: Alle großen deutschen
DAX-Unternehmen arbeiten nach dem Prinzip des sogenannten „Content
Marketing“. Sie bieten allen Medien rund um die Uhr eigene Magazine,
Blogs, Social-Media- und Video-Angebote sowie Apps an. Der
Autozulieferer Bosch schwadroniert da auf einmal über Fahrsicherheit,
und der Sportartikelhersteller Puma redet scheinneutral über körperliche
Selbstoptimierung.
Sechstens: Die ach so berühmten
PISA-Tests kommen nur scheinbar von der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris – vielmehr gehören sie dem
„Australian Council for Educational Research“. Und dieser Council ist
eben kein öffentliches Institut, sondern arbeitet als
privatwirtschaftliches Unternehmen, das mittels dieser Tests ganz
eigennützige Interessen forciert.
Prof. Dr. Jörg Becker ist seit 1987 Honorarprofessor für
Politikwissenschaft an der Universität Marburg, war von 1987 bis 2010
Geschäftsführer des KomTech-Instituts für Kommunikations- und
Technologieforschung in Solingen und von 1999 bis 2011 Gastprofessor für
Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Von ihm stammen
zahlreiche deutsche und internationale Veröffentlichungen zu den
Bereichen Internationale Beziehungen, Friedensforschung und
Medienpolitik.
Der Beitrag wurde in gekürzter und überarbeiteter Fassung dem
Buch „Lügen die Medien – Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um
die öffentliche Meinung“ von Jens Wernicke entnommen. Mit freundlicher
Genehmigung des Westend-Verlages.
Quelle:
http://derwaechter.net/die-macht-hinter-den-kulissen-wie-die-public-relations-industrie-mitregiert
Gruß an die Denkenden
TA KI