Sehr ambitionierte Pläne hat der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Falls die von ihm angeführte ÖVP bei der Wahl gewinnt, könnte sich Wien für eine Annäherung an Budapest, Prag, Bratislava und Warschau entscheiden. Eine zentraleuropäische Allianz mit Österreich an der Spitze könnte Wien zu einem der führenden politischen Zentren Europas machen.
Wenn Österreicher „genug ist genug“ sagen
Bis zum Jahresbeginn 2016 waren die wirtschaftlich eng miteinander verbundenen Österreich und Deutschland beste Freunde. Der damalige österreichische Bundeskanzler Werner Faymann saß an der Quelle der Migrationskrise in Europa, als er den Plan zur Aufnahme von mehr als einer Million Migranten aus dem Nahen Osten billigte. Mehrere Dutzend Tausend von ihnen wählten Österreich als Aufenthaltsort – neben Schweden hat dieses Land gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Flüchtlinge aufgenommen.
Wegen der hohen Geburtenrate unter den muslimischen Einwanderern, die bereits in der Alpenrepublik lebten, und der Ankunft neuer Muslime wuchs die muslimische Gemeinde eines Landes mit acht Millionen Einwohnern in wenigen Monaten um 100.000 auf 700.000. Dieser Zuwachs blieb nicht unbemerkt, denn 2001 lebten in Österreich nur 340.000 Muslime.
Unter Druck der öffentlichen Meinung erklärte der frühere Kanzler Faymann eine radikale Revision der Außenpolitik – die Einführung des Migrations-Notstandes. Seitdem weigert sich Wien, neue Flüchtlinge aufzunehmen, und sucht die Annäherung an die Länder Osteuropas, über die die Flüchtlinge zwischen 2015 und 2016 über die sogenannte Balkanroute nach Europa gelangten.
Erinnerungen an Österreich-Ungarn
Die Kooperation mit den Ländern Osteuropas ist ein Teil des historischen Erbes Österreichs, das bereits vor 99 Jahren ungarische, tschechische, slowakische, kroatische und teilweise polnische Gebiete umfasste. Die Integration der ehemaligen sozialistischen Länder in die EU führte zu einem nachhaltigen Wachstum des Handelsumsatzes mit Österreich. Laut Statistiken sinkt seit 2006 der Anteil der westeuropäischen Länder in der Handelsbilanz Österreichs, der der osteuropäischen hingegen wächst. Die Migrationskrise ermöglichte die Förderung der Wirtschaftskooperation mit einem wertvollen Bündnis. Die ehemaligen Länder Österreich-Ungarns und nahe gelegenen Länder stoppten den Flüchtlingsandrang nach Europa aus dem Osten, indem die Grenzen gesperrt wurden.
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Der von seinem Erfolg inspirierte Kurz will auch die Mittelmeerroute sperren, indem Grenzkontrollposten am Brenner aufgestellt werden. Es wird im Prinzip wenige Migranten geben, wenn sie im Voraus wissen, dass sie die Grenze nicht passieren können.
Dass Österreich – ein Land, das Dutzende Tausend syrische Flüchtlinge aufgenommen hat — seine Haltung so radikal änderte, ist einmalig. Während Polen und Ungarn riskieren, wegen ihres Verzichts, das Migrationsprogramm zu unterstützen, von europäischen Sanktionen getroffen zu werden, droht dies Österreich nicht, das deswegen bereits gewaltig unter Druck stand. Man habe bereits die Verpflichtungen bei dieser Frage erfüllt und wolle Zugeständnisse seitens Brüssels, sagte der amtierende Bundeskanzler Christian Kern.
Kurz gegen Kern
Die Antimigrationspolitik wurde zwar zum Gegenstand eines breiten Konsenses in der österreichischen Elite. Einzelne Fragen zu diesem Thema sind jedoch weiterhin Gegenstand von Auseinandersetzungen. Der Sozialdemokrat Kern plädiert für ein vorsichtiges Herangehen und ist nicht zu einem Bündnis mit Ungarn bereit, dessen Behörden zur Aufnahme eines Teils der Migranten aufrufen. Die Position von Kurz, des rechten Kandidaten, ist anders: Kurs auf eine allmähliche Eingliederung in die Strukturen der Visegrad-Gruppe, deren meistentwickeltes Land Österreich sein würde.
Deutschland betrachtet mit Argwohn die Kehrtwende seines nächsten Nachbarn in Richtung Osteuropa. „Österreich so groß wie nie“ – so lautet ein Titel in der Zeitung „Die Welt“. „Österreich und Deutschland verbindet weniger als man gemeinhin vermutet“, heißt es im Artikel, wo die Möglichkeit analysiert wird, dass Wahlfavorit Kurz sein Land in eine Allianz gegen Merkel lotsen könnte.