Samstag, 17. September 2022

Chef der Wagner Gruppe (Jewgeni Prigoschin): Mehr Macht als «Gott und Allah»

 

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«Ich hole euch lebendig raus, aber ich bringe nicht alle lebendig zurück»: Der Chef der Kampfgruppe Wagner spielt Schicksalsgott für russische Gefangene

Der geheimnisumwitterte Unternehmer Prigoschin zählt zum engsten Kreis um Präsident Putin. Nun erregt er mit einem Video Aufsehen – und bestätigt darin manche Gerüchte über seine Sondertruppe.

Andreas Rüesch

Von Jewgeni Prigoschin gibt es bis heute kaum Bilder – hier eine Aufnahme in St. Petersburg im Jahr 2016.

Mikhail Svetlov / Getty

Jahrelang hielt sich der russische Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin im Schatten. Den amerikanischen Vorwurf, er sei der Financier der berüchtigten St. Petersburger «Trollfabrik» und leite die paramilitärische Gruppe Wagner, wies er stets zurück. Es gab auch kaum Bilder von ihm. Doch mit dem Überfall auf die Ukraine hat sich dies geändert. Nicht nur sind Prigoschins Dienste als Kriegsunternehmer äusserst gefragt, er versteckt sich auch weniger als früher. Nun ist erstmals ein Video von ihm aufgetaucht, in dem er freiheraus als Wagner-Chef auftritt. Gefilmt wurde es vor kurzem in einem russischen Straflager 640 Kilometer östlich von Moskau, wo er unverblümt Häftlinge für den Kriegseinsatz anwarb.

Bereits im Juli hatte es die ersten Berichte über Prigoschins Werbetour durch Russlands Parallelwelt der Gefangenenlager gegeben. Das meiste beruhte damals aber noch auf Hörensagen. Das nun von oppositioneller Seite publizierte Video bestätigt die Berichte und gibt erstmals einen konkreteren Eindruck von dieser Schlüsselfigur in der Grauzone von Geschäft und Kreml-Macht.

Mehr Macht als «Gott und Allah»

Prigoschin weiss, wie man mit Häftlingen spricht; er sass einst selber eine jahrelange Strafe ab. Bei seinem Auftritt im Gefängnishof verliert er nicht viele Worte. Fünf Minuten Zeit hätten sie zum Entscheiden, sagt er den um ihn versammelten Häftlingen. Der Krieg sei unvergleichlich hart. Der Munitionsverbrauch übersteige jenen in der Schlacht von Stalingrad um ein Mehrfaches. Aber wer sich jetzt der Gruppe Wagner anschliesse und den Einsatz ein halbes Jahr überlebe, komme in den Genuss einer Begnadigung und dürfe nach Hause.

Prigoschin erläutert, dass alle zwischen 22 und 50 Jahren in Betracht kämen, aber es gebe Ausnahmen. Drogen und Sex kämen beim Kriegseinsatz nicht infrage, Deserteure würden erschossen. Auch sonst führt sich der Geschäftsmann als Herr über Tod und Leben auf. Barsch fragt er die zu zehn oder mehr Jahren verurteilten Gefangenen, ob irgendjemand sonst sie hier herausholen könne. Die Antwort liefert er gleich selber: «Es gibt zwei: Gott und Allah. In einer Holzkiste.» Er hingegen biete eine echte Chance: «Ich hole euch lebendig raus, aber ich bringe nicht alle lebendig zurück.»

Ausschnitt aus dem erwähnten Video.
 

An der Echtheit der Aufnahme bestehen keine Zweifel. Prigoschin ist darauf gut erkennbar, ein Merkmal sind auch die ihm von Putin verliehenen beiden «Held Russlands»-Orden auf seiner Brust. Seine Firma und Wagner-nahe Blogger haben die Authentizität indirekt bestätigt.

Wie viele Strafgefangene der Wagner-Chef mit dem Versprechen auf Freiheit in den Krieg gelockt hat, ist unbekannt. Aber gerüchteweise ist die Rede von mehreren tausend. Ein in ukrainische Gefangenschaft geratener früher Sträfling erzählte, dass allein aus zwei Gefängnissen in der Provinz Rjasan 150 Insassen auf das Angebot eingestiegen seien. Es ist unvorstellbar, dass Prigoschin ohne Auftrag des Kremls handelt, denn nur der Präsident kann Häftlinge begnadigen. Dies zeigt auch, dass Wagner letztlich ein weiterer Arm des russischen Regimes ist.

Keine klassischen Söldner

In Medien wird die Organisation oft als Söldnerfirma bezeichnet. Doch dies ist irreführend – und wohl auch die Folge von russischer Propaganda. Dem Kreml ist daran gelegen, Wagner als Privatunternehmen darzustellen, mit dem der Staat nichts zu tun hat. Doch die kommerzielle Fassade ist eher formaler Natur, in Wirklichkeit ist Wagner eng mit dem Sicherheitsapparat verflochten. Es ist daher zutreffender, von einer paramilitärischen Organisation zu sprechen. Die Wagner-Kämpfer erhalten zwar eine grosszügige Entlöhnung für ihre Einsätze, aber dasselbe gilt für die vielen Freiwilligen, die nun von den russischen Regionalregierungen rekrutiert werden. Auch die Vertragssoldaten der Armee beziehen ein Gehalt.

Charakteristisch für eine Söldnerfirma ist, dass sie ihre Dienste allen möglichen Kunden anbietet. Doch gerade dies trifft auf Wagner nicht zu. Prigoschins Kämpfer tauchen nur dort auf, wo Russland seine Grossmachtinteressen verfolgt: in Syrien, in Moskaus afrikanischen Klientelstaaten, in Libyen und schon ab 2014 in der Ukraine. So, wie Geheimdienste sich gerne hinter Frontfirmen verstecken, nutzte der Kreml die Gruppe Wagner vor dem jetzigen Krieg für Operationen, zu denen er sich nicht offiziell bekennen wollte. Dass es in Wirklichkeit eine paramilitärische Einheit des Staates ist, lässt sich schon daran erkennen, dass die Wagner-Kämpfer mit Waffen aus russischen Arsenalen ausgerüstet sind.

Prigoschin bestätigt dies im Video mit seiner Prahlerei, dass er über Kampfflugzeuge verschiedener Typen, Panzer und Mehrfachraketenwerfer verfüge. Verschiedene Bildquellen aus der Ostukraine zeigen Wagner-Kämpfer auch mit russischen Schützenpanzern und Haubitzen. Das folgende Video zeigt Wagner-Truppen mit einigen dieser Waffen im Einsatz:

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Westliche Sicherheitsfirmen verfügen typischerweise nicht über schwere Waffen. Dass Wagner auch eine Luftwaffe hat, stellte sich Ende Mai heraus, als ein von der Organisation angeheuerter pensionierter General mit seinem Kampfjet über der Provinz Luhansk abgeschossen wurde.

Wichtige Rolle an der Donbass-Front

Ein Blick auf die militärischen Lagekarten westlicher Beobachter zeigt, dass die Gruppe Wagner integriert in die Moskauer Kriegsplanung ist. Sie ist derzeit zuständig für einen Frontabschnitt im Donbass, bei Bachmut und weiter südlich. Da es sich bei ihren Mitgliedern – abgesehen von den Strafgefangenen – meist um erfahrene frühere Berufssoldaten handelt, gilt ihre Kampfkraft als weit überdurchschnittlich.

Einen aufsehenerregenden Erfolg erzielte Wagner im Juli bei der Erstürmung des Kohlekraftwerks Wuhlehirsk, der einst grössten derartigen Anlage des Landes. Insgesamt vermochten die Wagner-Kämpfer die Front in diesem Sommer um etwa 20 Kilometer nach Westen zu verschieben, was nicht viel ist, aber im Vergleich mit anderen Einheiten dennoch herausragt.

Wagner-Kämpfer in der von ihnen eroberten Ortschaft Kodema in einer Selbstdarstellung von Ende August. 

Wagner-Kämpfer in der von ihnen eroberten Ortschaft Kodema in einer Selbstdarstellung von Ende August.

 
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Die einst gefürchteten russischen Bodentruppen sind nach einem halben Jahr Krieg derart ausgezehrt, dass die Gruppe Wagner zusammen mit den Resten der Luftlandetruppen und den Sondereinsatzkräften der Geheimdienste zu den wenigen noch immer schlagkräftigen Eliteformationen zählt. Aber auch Prigoschins Einheiten dürften erheblich geschwächt sein. Die Tatsache, dass Häftlinge ohne militärische Erfahrung und nach nur minimaler Ausbildung an die Front geschickt werden, schadet der Kampfkraft und zeigt, wie gross die Verzweiflung ist.

Prigoschins Wirken ausserhalb jeder Rechtsstaatlichkeit ist bezeichnend für den Charakter des Putin-Regimes wie auch für die Krise der regulären Armee. Selbst unter glühenden Kriegsanhängern wirft dies allerdings Fragen auf. Der nationalistische Hardliner Igor Girkin alias Strelkow äusserte am Donnerstag in seinem Blog die Befürchtung, dass der massenhafte Einsatz von Schwerverbrechern zu einem Zusammenbruch der Disziplin, ja gar zu Meutereien führen könnte. Bezeichnend ist, was der bereits erwähnte frühere Lagerinsasse aus Rjasan berichtete: Während eines Inspektionsbesuchs Prigoschins im Donbass mussten die Häftlingskämpfer demnach sicherheitshalber ihre Schusswaffen abgeben.


 

Putin is the WarCriminal gave command to recruit mercenaries among prisoners in Russia

 

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