N eue spektakuläre Enthüllungen über den selbsternannten
Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Dem SPD-Politiker fehlt nicht nur
der akademische Abschluss in Epidemiologie, den er vorgibt zu besitzen.
Auch der geführte Professoren-Titel ist nicht existent.
von Gregor Amelung
Am 11. Juli 2021 berichtete
ich bereits über den fehlenden akademischen Abschluss in Epidemiologie
von Prof. Karl Lauterbach. Der hat nämlich keinen »Master of Science in
Epidemiology«, sondern lediglich einen »Master of Public Health«. Den
hat der SPD-Gesundheitspolitiker auf seiner persönlichen Website
allerdings ein bisschen aufgeblasen, indem er schreibt: »1989-1990
Master of Public Health (MPH) an der Harvard School of Public Health mit
Schwerpunkten Epidemiologie und Health Policy and Management«.
Nun ist der MPH ein interdisziplinäres Aufbaustudium, in dem man
typischerweise mit der Beobachtung und dem Monitoring von Krankheiten,
dem Design und der Durchführung von Studien sowie mit Epidemiologie,
Gesundheitsökonomie, medizinischer Statistik und
Krankenversorgungssystemen konfrontiert ist. Epidemiologie und
»Gesundheitspolitik und -management« (Health Policy and Management) sind
also Bestandteile eines MPH-Studiengangs. Sie zum »Schwerpunkt« seines
eigenen MPH-Studiums zu erklären, ersetzt allerdings keinen fehlenden
»Master of Science in Epidemiology«.
SPD-Fraktion: Studium der Epidemiologie mit Promotion »abgeschlossen«
Trotzdem ist Karl Lauterbach für den Spiegel ein »studierter
Epidemiologe« (22. März 2021). Genauso wie für sportschau.de (04. April
2021), br.de (11. März 2021), rtl.de (22. März 2021), ntv (13. Mai
2020), den Cicero (09. Februar 2021) und so weiter.
Offenbar beruhen diese Einordnungen auf einer fehlerhaften Information auf der Website der NRW-Landesgruppe
der SPD-Fraktion im Bundestag, denn dort heißt es: »Karl Wilhelm
Lauterbach… studierte Medizin in Aachen, Texas (USA) und Düsseldorf
sowie Epidemiologie und Gesundheitsökonomie (Health Policy and
Management). Das Studium der Medizin schloss er mit der Promotion zum
Doktor der Medizin ab. Das Studium der Epidemiologie und
Gesundheitsökonomie schloss er mit der Promotion an der Harvard
Universität in Boston, USA ab.«
Das ist so allerdings nicht richtig, denn Karl Lauterbach hat
lediglich das Studium der Gesundheitsökonomie mit einer Promotion
abgeschlossen. Seine Dissertation von 1995 mit dem Titel »Justice and
the Functions of Health Care / Gerechtigkeit und die Funktionen des
Gesundheitswesens« schrieb er zur Erlangung des Doktorgrades im Bereich
»Gesundheitspolitik und -management« (»Doctor of Science in the Field of
Health Policy and Management«). Somit ist er studierter
Gesundheitsökonom.
Titelblatt der Dissertation zum Doktor der Wissenschaften im Bereich Gesundheitspolitik und -management
Und genauso liest sich auch seine Doktorarbeit, denn sie behandelt
ethische und wirtschaftliche Aspekte des öffentlichen Gesundheitswesens.
Viren, Bakterien oder Epidemien sind nicht Thema. Genauso wenig waren
sie Thema in Lauterbachs Jahren zwischen seinem MPH 1990 und seiner
Doktorarbeit 1995. Denn auch Lauterbachs Berater, Fachbereichsleiter und
seine beiden Doktorväter weisen ihn als Gesundheitsökonomen aus: Arthur
Applbaum, Philosoph (1992); Michael Reich, Politikwissenschaftler
(vermutlich 1992); Lynn Peterson, Dozent für Sozialmedizin (1993); Marc
Roberts, Experte für Gesundheitssysteme (1992-1995); Amartya Sen,
Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph (1992-1995).
Lauterbach über Lauterbach: Ich bin »zufrieden«
Sechs Tage nach Erscheinen des Artikels über die Löcher in
Lauterbachs angeblichem Epidemiologie-Studium war der vielgefragte
Corona-Experte Gast auf der Bundespressekonferenz und wurde von Boris
Reitschuster Folgendes gefragt: »Es gibt ja Kritiker, die sagen, Sie
hätten sich immer nur sehr wenig mit Epidemiologie befasst, im Studium
und im Berufsleben. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?» – »…. Ob ich mich
mit Epidemiologie viel beschäftigt habe oder nicht: Das kommt drauf an,
wie man sich… die Beschäftigung vorstellt. Ich habe mich als
Wissenschaftler sehr stark dafür eingesetzt und sehr stark gearbeitet im
Bereich der Sekundärprävention von chronischen Erkrankungen,
insbesondere Diabetes.«
Bemerkenswert war daran, dass Lauterbach nicht einfach geantwortet
hatte: »Von 1998 bis 2005 war ich Leiter des Instituts für
Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Universität
Köln«. So steht es nämlich nicht nur auf seiner Website, sondern auch
auf der des Bundestages. Und der Leiter eines »Instituts für…
Epidemiologie« beschäftigt sich ja logischerweise auch mit
Epidemiologie. Also, lieber Herr Reitschuster, lieber Herr Amelung,
setzen, sechs. Danach hätte dann Prof. Lauterbach immer noch »zufrieden«
über seine Arbeit im Bereich der Diabetes-Prävention berichten können.
Aber genau das tat er nicht.
Das war auch deshalb überraschend, weil Lauterbachs latent defensive
Antwort auf Boris Reitschusters Frage nicht zu seinem sonstigen
Auftreten passen wollte, denn während der Corona-Pandemie hatte der
SPD-Gesundheitspolitiker mehr als einmal bewiesen, dass er sich Gehör
verschaffen kann. – Wieso also diese Zurückhaltung? War es eine aus
Vorsicht geborene Zurückhaltung, um niemanden zu übermäßigen
Grabungsarbeiten in seiner Vita anzustacheln? Oder war es die gelernt
lässige Antwort eines Politikers? – Letztes konnte es eigentlich nicht
gewesen sein, denn Lauterbach bemühte für seine Antwort nicht nur seine
eigene Arbeit, sondern benannte gleich noch Leumundszeugen, indem er den
ebenfalls anwesenden Bundesgesundheitsminister in die Pflicht nahm:
»Das Disease Management-Diabetes… war ein Forschungsschwerpunkt [von
mir]… da haben wir zusammengearbeitet, Herr Spahn und ich, so lange
kennen wir uns schon… Somit bin ich… persönlich mit meiner Ausbildung
und auch mit meiner Forschungsleistung im Bereich der Epidemiologie
zufrieden. Das sehen auch viele Fachkollegen so…« Dem schlossen sich
dann Jens Spahn und der ebenfalls anwesende RKI-Vizepräsident Prof. Dr.
Lars Schaade an.
Bei soviel Zuspruch für den »Fachmann« Lauterbach war es erstaunlich,
wie rasch sich Steine aus dem Mauerwerk seiner Vita herauslösten, wenn
man nur etwas daran kratzte. Prof. Dr. Dr. Karl Lauterbach hat nämlich
nicht nur keinen »Master of Science in Epidemiology« und nie ein
»Studium der Epidemiologie« mit dem Doktor abgeschlossen, er war auch
nicht Leiter des »Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische
Epidemiologie (IGKE) der Medizinischen Fakultät der Universität zu
Köln«, obwohl das genauso in einem Lebenslauf steht.
1998 bis 2005 Institutsleiter an der Uni zu Köln
Zur Klarstellung: Nach seiner Doktorarbeit in Gesundheitsökonomie im
Jahre 1995 war Lauterbach nach Deutschland zurückgekehrt und zwei Jahre
lang als Privatdozent an der Uni Köln tätig gewesen. »Während dieser
Zeit habe ich der Universität den Gedanken an ein Institut für
Gesundheitsökonomie nahe gebracht«, so Lauterbach 2004 im Spiegel. 1997
wird Lauterbachs Idee dann in die Tat umgesetzt. 1998 wird er selbst zum
Direktor der Neugründung ernannt. Damit war gleichzeitig seine Berufung
zum Professor verbunden. Mit Dingen wie einer Epidemie – auch Seuche
genannt – beschäftigte sich das Institut allerdings nicht. Sondern mit
Studien zu einem Appetitzügler, zu Margarine und zur Qualität von
Röntgenuntersuchungen. Und auch der Direktor selbst arbeitet nicht als
Epidemiologe, sondern als Gesundheitsökonom. So lauten die Themen seiner
Publikationen beispielsweise die Informationstechnologie im
Gesundheitswesen (1999), die Fallpauschale (2000) oder die
Kostenexplosion im Gesundheitswesen (2003).
Parallel dazu befasste sich der Institutsdirektor mit Politik. 2005
zog Lauterbach dann für die SPD in den Deutschen Bundestag ein. Damit
verließ er seine Kölner Wirkungsstätte. Seitdem ist Lauterbach als
Leiter des Kölner Instituts »beurlaubt« und Prof. Stephanie Stöck hat
die »kommissarische Leitung« inne.
Gegründet worden war Lauterbachs Institut Ende Februar 1997, aber
nicht als »Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie
(IGKE)«, wie es in Lauterbachs Vita steht, sondern als »Institut für
Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG)«. Getragen wurde es
von zwei Fakultäten, der Medizinischen und der Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen. Als Aufgaben der Neugründung beschreibt das
Ärzteblatt 1997 die »Entwicklung von Aus- und Weiterbildungskurrikula im
Fach Gesundheitsökonomie«. Von Epidemiologie ist keine
Rede. Auch nicht in der Postadresse des Instituts, denn auch hier heißt
es: »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft,
Gleueler Straße 176-178 50935 Köln«. Genauso heißt das Institut auch
2001 in einer Stellenanzeige
der Uni. Und auch in den Jahren 2005 bis 2008 bleibt der Name gleich,
lediglich die Postadresse änderte sich geringfügig. Nun ist es die
Gleueler Str. 176-178/3 in 50931 Köln.
Die Namenstrickserei zahlte sich bereits 2003 aus
Fuhr man in Lauterbachs Kölner Zeit mit dem Fahrrad nun rund 4
Minuten gen Innenstadt, erreichte man die Joseph-Stelzmann-Str. 9. Hier
war bereits seit den 1980er-Jahren das Institut für »Medizinische
Statistik, Informatik und Epidemiologie« (IMSIE) unter seinem damaligen
Chef Univ.-Prof. Lehmacher beheimatet.
Zwischen beiden Instituten wurde, so der Informationsdienst
Wissenschaft (idw) 1997 »eine enge Zusammenarbeit… etabliert« und »eine
Arbeitsgruppe für klinische Studien« gebildet. Wirklich zufrieden war
Prof. Lauterbach damit wohl aber nicht, denn er motzte seinen damaligen
Institutsnamen eigenhändig auf und publizierte nicht als Leiter des
IGMG, sondern als Leiter des IGKE, des »Institut für Gesundheitsökonomie
und Klinische Epidemiologie«. Auch in Fachvorträgen und Artikeln, auf
die er direkten Zugriff hatte, taucht diese Neuschöpfung ab 1999 auf.
Hier und da wird sich wohl ein besonders diensteifriger Briefträger gewundert haben, dass in der Gleueler Str. 176-178 gleich zwei Institute
beheimatet sind. Ansonsten fiel die Hochstapelei nicht auf. Sie
gereichte dem kreativen Institutsleiter vielmehr zu ungeahnter
Wertsteigerung. So schrieb Die Welt 2003 Lauterbach irrtümlich die
Leitung gleich zweier Institute zu: »Der knapp 40-Jährige lehrt heute
nicht nur an der Universität Köln, sondern leitet darüber hinaus auch
noch zwei Institute, die über Gesundheitsökonomie und Medizin forschen.«
Das benutze der Welt-Artikel dann als Beleg dafür, dass Prof. Dr. Dr.
Karl Lauterbach »fachlich hochqualifiziert« ist.
»Epidemiologie« ist auch nur ein Wort
2005 verließ Lauterbach dann seine Kölner Wirkungsstätte und ging in
die Hauptstadt. Jahre später erkannte man dann wohl an der Kölner
Universität, dass der frühere Institutsleiter schon immer ein gutes
Gespür für knackige Institutsnamen gehabt hatte, und taufte das alte
»Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft« (IGMG) um.
Sein neuer Name lautete nun »Institut für Gesundheitsökonomie und
Klinische Epidemiologie« (IGKE). Damit hatte Karl Lauterbachs frühere
Hochstapelei nun auch noch einen quasi amtlichen Segen erhalten.
Auch heute in der Corona-Krise profitiert Karl Lauterbach von seiner
früheren Trickserei. Wen interessiert denn noch, dass die Medizinische
Fakultät der Uni Köln ihre Postgraduate-Studenten anno 2005 noch zu
Seminaren am »Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und
Gesellschaft« geschickt hatte, während andere Studenten zu Seminaren
beim »Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Epidemiologie«
gegangen waren.
»Epidemiologie« ist ja auch nur ein Wort von vielen. Und natürlich
kann Lauterbach auch darauf pochen, dass in der Diabetes-Prävention auch
Epidemiologie irgendwie drinsteckt. Also seien wir mal nicht so
kleinlich. Trotzdem fragt man sich schon, wie es der Betroffene selbst
finden würde, wenn der Flugkapitän bei seiner nächsten Dienstreise
lediglich Flugzeugmechaniker wäre oder der Zahnarzt bei der nächsten
Wurzelbehandlung nur Zahntechniker.