Sonntag, 16. Januar 2022

Ernährung: Cholesterin, weniger böse als gedacht?

 

 

 

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Ernährung: Cholesterin, weniger böse als gedacht?

Zu viel Cholesterin im Essen soll krank machen. Eine fettreiche Ernährung erhöht demnach das Herzinfarkt-Risiko, man solle sie meiden, heißt es. Dabei gibt es berechtigte Zweifel an der Behauptung.
 

 © South_agency / Getty Images / iStock (Ausschnitt)

 

 

Kurz nach dem Ende des Zweite Weltkriegs starben in den USA viele wohlhabende Geschäftsleute an Herzinfarkten. Schockiert von den sich häufenden Todesanzeigen in seiner Lokalzeitung beschloss der Physiologe Ancel Keys, der Sache nachzugehen. Seine Erkenntnisse sollten die Ernährung der Menschen grundlegend verändern.

Keys fragte sich, warum hochrangige US-Führungskräfte, die Zugang zu gehaltvollem Essen hatten, viel häufiger an koronaren Herzkrankheiten erkrankten als Menschen im Nachkriegseuropa, wo die Lebensmittel knapp waren. Könnte es einen Zusammenhang zwischen Fett in der Ernährung und Herzkrankheiten geben? Begeistert präsentierte Keys seine Hypothese 1955 auf einer Tagung der Weltgesundheitsorganisation. Sechs Jahre später prangte sein Gesicht auf der Titelseite des »Time Magazine«. Er forderte die Lesenden auf, fettreiche Lebensmittel wie Milchprodukte und rotes Fleisch zu meiden.

Im Jahr 1985 startete Keys eine Studie, in der er die Ernährung, den Lebensstil sowie die Häufigkeit koronarer Herzerkrankungen bei fast 13 000 Männern mittleren Alters in insgesamt sieben Ländern untersuchte: Finnland, Griechenland, Italien, Japan, den Niederlanden, den Vereinigten Staaten und Jugoslawien. Dabei zeigte sich: Der Cholesterinspiegel im Blut und die Sterblichkeit bei Herzinfarkten waren in den Ländern am höchsten, wo die Nahrung einen hohen Anteil an gesättigten Fettsäuren enthielt. Das war beispielsweise in den Vereinigten Staaten und Finnland der Fall. Etwa zur selben Zeit, als Keys seine Studie aufsetzte, identifizierte die so genannte Framingham-Studie einen hohen Cholesterinspiegel als Hauptrisikofaktor für koronare Herzkrankheiten. Dafür wurden mehr als 5000 Einwohner einer Stadt im US-Bundesstaat Massachusetts untersucht.

Studien wie diese legten den Grundstein für die Einführung von Ernährungsrichtlinien in den USA und Großbritannien in den 1970er und 1980er Jahren. Darin wurde den Bürgern empfohlen, den Anteil von gesättigten Fetten auf etwa zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr zu reduzieren, um den Cholesterinspiegel und damit das Herzinfarktrisiko zu senken. Eine fettarme Ernährung gilt seither als gesund.

Dem stimmen nicht alle zu. Uffe Ravnskov, ein dänischer Forscher im schwedischen Lund, bezweifelt den Zusammenhang zwischen Nahrungsfetten, Cholesterin und koronaren Herzerkrankungen. Er bezeichnet ihn als »größten medizinischen Skandal der Neuzeit«. Kritiker wie Ravnskov behaupten, die Daten in Keys' Sieben-Länder-Studie seien so ausgewählt worden, dass sie zu seinen Schlussfolgerungen passten. So hat Keys beispielsweise keine Daten aus Frankreich einbezogen, wo trotz fettreicher Ernährung vergleichsweise wenig Herzerkrankungen auftraten. Ravnskovs internationales Netzwerk der Cholesterin-Skeptiker, dem rund 100 Mitglieder – darunter einige Kardiologen – angehören, sagt, aus Angst um ihr Herz würden Millionen von Menschen zu einer »langweiligen und geschmacklosen Ernährung gedrängt«.

»Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten machten die Cholesterinwerte keinen Unterschied«(Robert DuBroff, Kardiologe)

 

Verwirrung um Cholesterin

Robert DuBroff, Kardiologe an der University of New Mexico, hielt eine Verbindung zwischen Fett in der Ernährung und Herzkrankheiten früher für gegeben. Doch vor etwa 15 Jahren bemerkte er, dass in der wissenschaftlichen Literatur Artikel auftauchten, die dieses Dogma kritisierten. Die Debatte veranlasste ihn, die Framingham-Studie erneut zu untersuchen. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die Cholesterinwerte der Menschen, die an einer koronaren Herzkrankheit erkrankten, und derjenigen, die gesund blieben, so gut wie identisch waren. Es sei denn, das Gesamtcholesterin war entweder außergewöhnlich hoch (mehr als 380 Milligramm pro Deziliter) oder niedrig (weniger als 150 Milligramm pro Deziliter). »Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten machten die Cholesterinwerte keinen Unterschied«, sagt DuBroff.

Wenn man davon spricht, dass Cholesterin Herz-Kreislauf-Probleme verursacht, ist nicht das Fettmolekül selbst der Übeltäter, sondern die Proteine, die das Cholesterin von und zu den Zellen transportieren. Diese lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: High Density Lipoprotein (HDL), umgangssprachlich als gutes Cholesterin bezeichnet, und Low Density Lipoprotein (LDL). Dieses als böse Cholesterin bezeichnete Molekül soll die Arterien verstopfen und das Herzinfarktrisiko erhöhen. Die Unterscheidung in Gut und Böse traf der amerikanische Arzt John Gofman in den 1950er Jahren. Als er das Blutplasma von Menschen analysierte, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, stellte er fest, dass ihre LDL-Werte stark erhöht waren, während die HDL-Werte unter der Norm lagen. Seine Cholesterin-Theorie setzte sich 1984 durch, als eine Studie mit rund 3800 Personen ergab, dass diejenigen mit niedrigeren LDL-Werten offenbar ein geringeres Risiko für einen Herzinfarkt oder eine Bypass-Operation hatten.

Die Epidemiologin Jane Armitage von der University of Oxford hält einen Zusammenhang zwischen LDL und Herzerkrankungen für unbestreitbar. Als Beleg verweist sie auf Studien mit Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie. Ursächlich für diese Erkrankung ist eine Mutation in dem Gen, das für das LDL-Rezeptorprotein codiert. Dieses Protein entfernt normalerweise LDL-Cholesterin aus dem Blut. Bei Menschen mit dieser Krankheit ist es jedoch fehlerhaft. In der Folge haben Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie einen abnormal hohen LDL-Cholesterinspiegel. Sofern sie nicht behandelt werden, ist ihr Risiko, eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln, um bis zu 13-mal höher als bei Menschen ohne diese Mutation.

Das Aufkommen von Statinen – das sind Medikamente, die das LDL senken, indem sie die Cholesterinproduktion in der Leber hemmen – stärkte die Ansicht, dass das LDL-Cholesterin bei Herzerkrankungen eine wichtige Rolle spielt. So zeigte in den frühen 1990er Jahren eine skandinavische Studie, dass das Statin Simvastatin den LDL-Spiegel senkt und das Herzinfarktrisiko reduziert. Seither haben zahlreiche randomisierte klinische Studien gezeigt, dass Statine Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle verringern. Eine Übersichtsarbeit von 2016 kommt zu dem Schluss, dass sich in einer Gruppe von 10 000 Menschen mit Gefäßerkrankungen durch die tägliche Einnahme eines Statins 1000 Herzinfarkte, Schlaganfälle und Bypass-Operationen an den Herzkranzgefäßen vermeiden ließen. »Dass Menschen daran zweifeln, dass Statine Leben retten können, ist angesichts der eindeutigen Beweise geradezu außergewöhnlich«, sagt Armitage.

Einige Forscher hegen jedoch nach wie vor Zweifel. DuBroff argumentiert, die umfangreichen Datensätze, die für die Wirkung der Statine sprechen, seien nie richtig validiert wurden. Um das nachzuholen, überprüfte er systematisch 35 veröffentlichte klinische Studien, in denen verschiedene Cholesterinsenker mit Placebos verglichen wurden. Dabei kam heraus, dass die Medikamente das Sterberisiko nicht unbedingt verringern. Dennoch halten die meisten Fachleute die Beweise für Statine im Großen und Ganzen für stichhaltig. Von Cholesterinsenkern mit anderen Wirkmechanismen wie Fibraten oder Ezetimib könne man dies nicht behaupten, sagt DuBroff. »Wenn das Konzept der Cholesterinsenkung richtig ist«, fragt er, »warum sind die anderen Mittel dann nicht ebenso wirksam beim Verhindern von Infarkten?«

 

 

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